Essay
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Im Bett leben

Das Jahr 2015 endete mit einer überraschenden Nachricht. 80 Prozent der jungen New Yorker Berufstätigen arbeiten vom Bett aus. Und jetzt sind es nicht die Alten und Kranken, die im Bett liegen, sondern die vielbeschworenen Millenials. Die jungen Leistungsträger halten sich nicht mehr nur zum Schlafen und zum Sex im Bett auf. Das findet Silke Weber in der Zeit „gut so“. Aber so war es natürlich nicht immer.

Honoré de Balzac hat in seiner „Physiologie der Ehe“ ein Kapitel der Theorie des Betts gewidmet. Da war noch das Eheleben in all seinen pikanten Details der Ausgangspunkt der Betttheorie. Weit entfernt von Balzacs Ausführungen aus einem vergangenen bürgerlichen Zeitalter ist Tracey Emins berühmte Arbeit „My Bed“. Das Bett ist ein intimer Ort, zwar kein Rückzugsort mehr, aber immerhin, irgendwie noch persönlich. Kippen, eine Flasche Orangina und eine Flasche Absolut. Batterien und Kondome und ein ungemachtes Bett. Die Arbeit ist von 1998. Damals war es vielleicht noch ein Schock, ein ungemachtes Bett auszustellen. Zumindest sorgte die Installation dafür, dass einmal mehr die langweiligste Kritik der Welt aufgewärmt wurde: “Das ist ja gar keine Kunst”. Ein bisschen von der Slacker- und Verweigerungshaltung der Generation X steckt auch in der Arbeit. Nachdem Emin tagelang das Bett nicht verlassen hat und außer Absolut-Wodka und Orangina nichts zu sich genommen hat, hat sie „My Bed“ gemacht. Die bettlägerige Tracey Emin ist keine junge Leistungsträgerin mit MacBook, im Gegenteil: Sie war depressiv, und das Bett ist das Dokument ihrer Krankheit.

Im-Bett-bleiben als Verweigerung oder als Rückzug ins bürgerliche Interieur: Zum Glück sind das nicht die einzigen Varianten. Carsten Höller ist sozusagen der Psychedelika-Onkel der Gegenwartskunst und seine Installationen sind auch eine Form der Verweigerung. Aber hier wird gleich die ganze Realität verweigert. Dabei sind die environments des studierten Naturwissenschaftlers so akribisch inszeniert, dass man sich in eine Versuchsanordnung von Albert Hofmann versetzt glaubt. Im Centre Pompidou kann man sich seine Riesenpilze aus Plastik ansehen. Im South Bank Centre in London konnte man im letzten Jahr seine Schau „Decision“ sehen. Rutschen und umherfahrende Betten. Besonderes Gimmick dabei: Bunte Pillen, frei verfügbar, aber wahrscheinlich nur Placebo-Psychedelika. Und in seiner begehbaren Installation bei Thyssen-Bornemisza Art Contemporary in Wien, ebenfalls im letzten Jahr, konnte man für 490 Euro eine Übernachtung buchen. Kernstück der Ausstellung: ein großes Bett. Titel: „Leben“.

Die prekär beschäftigten Millenials werden nun zu Fürsten des Medienzeitalters erklärt, und das Bett wird zum Zentrum ihrer Welt. Das schreibt zumindest Thomas Wagner, und sieht die Zeitgenossen in der Tradition von Alexander dem Großen und Playboy-Gründer Hugh Hefner. Nun ist nicht jeder, der im Bett liegend auf seinem Laptop herumtippt Hugh Hefner. Aber die Botschaft ist klar: Wer es heute zu etwas bringen will, der bleibt am besten im Bett.

 

Titelbild: Still aus dem Film zur Ausstellung „Decision“ in der Hayward Gallery im Southbank Centre in London.

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