Monate: Juli 2015

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Gut zu wissen, wo die Bösen sitzen. Über Kunst in der Werbung

Man regt sich gerne über dieses oder jenes auf. In diesem Fall regt sich die Twitter-Intelligentsia über eine neue MediaMarkt-Kampagne auf. Der Elektro-Fachhändler benutzt auf Twitter Gemälde alter Meister und versieht sie mit Sprüchen, die in Werbeagenturen vielleicht als witzig gelten. Und es wird aufgeschrien. Aber nicht etwa wegen des Frauenbilds der Werbetreibenden, das direkt aus den 1950ern stammen könnte (Frauen interessieren sich da offenbar vor allem für Glätteisen und Pizzaöfen). Sondern weil hier das heilige Kulturgut bildende Kunst für einen ganz profanen Zweck, nämlich Werbung verwendet wird. Die Bilder sind gemeinfrei, und man kann damit anstellen, was man will. Und wenn der MediaMarkt das tut, greift folgende Gleichung: Kunst ist gut, Werbung ist böse. Bad Hair Day? Mit dem richtigen Glätteisen hätte sie die Krause nicht verstecken müssen #truestory pic.twitter.com/At8TxnlQNV — Media Markt (@mediamarkt_de) July 21, 2015 Der italienische Maler Alesandro Allori ist wahrscheinlich nur ein paar Kunsthistorikern bekannt. Die letzte und einzige Dissertation zu seinem Werk erschien 1958. Vor drei Jahren allerdings wurde sein Porträt eines jungen Mannes zum “Shit’s on Fire, yo”-Meme. Das …

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Kleine Geschichte der Kultur erzählt in Emojis

Am Samstag machte ein Tweet von Nils Markwardt, Redakteur des Philosophie Magazins, die Runde. Er schrieb eine kleine Philosophiegeschichte in Emoticons. Foucault wies er beispielsweise – klar, Markenzeichen – eine Brille zu, dem Urvater des Zettelkastens Niklas Luhmann eine Büroklammer und dem Tierbefreier Peter Singer einen süßen Hundekopf. Auf Twitter wurde aus der kleinen ganz schnell kollaborativ eine große Philosophiegeschichte. Und Nils Markwardt legte eine kleine Literaturgeschichte in Emojis nach, die ebenfalls schnell erweitert wurde. Ich selbst half mit einer Liste von Porträts von Künstlern als Emojis aus. Heute schrieb das @pixelfrollein auf Twitter an der Kulturgeschichte in Emojis weiter, schließlich fehlten noch die Musiker. Wer heute Morgen einen Blick in die Süddeutsche Zeitung geworfen hat, konnte unter der Überschrift „Schillers Glocke“ die kleine Philosophie- und Literaturgeschichte von Nils Markwardt erzählt in Emoticons auf Papier nachlesen. #DieZukunftderPrintmedien im Blick zu haben, bedeutet, dass auch mal Teile des Internets ausdruckt werden. Und wer wissen möchte, wie die große Kulturgeschichte erzählt in Emojis aussieht, der lese auf Twitter weiter und schreibe vielleicht sogar mit an der Geschichte.

Sänger Ariel Pink bei der Arbeit, © by Anders Jensen-Urstad

Vom Spaß zum Stahlbad. Doug Aitkens „Station to Station“

Die Merry Pranksters waren Mitte der 1960er eine Art psychedelischer Wanderzirkus. Mit einem bunt bemalten Bus wurden die Blumenkinder durch die USA gefahren. Jack Kerouacs alter Freund Neal Cassidy, voll mit Amphetaminen, fuhr den Bus. Der Road Trip hat in den USA eine lange Tradition: Die Drogenfreaks der 1960er fahren dem bürgerlichen Leben davon, privilegierte weiße Mittelstandskinder suchen dabei ihr Ferienvergnügen. Über Doug Aitkens Happening Station to Station schrieb die amerikanische Wired, es sei auch eine “vision quest”, die Suche nach Visionen. Der Künstler lässt einen Zug quer durch die USA fahren. 24 Tage lang, mit zehn Stops und neun Waggons, im attraktiven Siebziger-Look mit Panoramafenstern. In den Zug packt Aitken einige Kreative, die entweder bei einem der Stops zwischen New York und San Francisco oder gleich im Bahnwaggon etwas aufführen. Daraus sind 62 einminütige Clips geworden. Da spielt zum Beispiel der immer noch nicht ergraute Thurston Moore den Teenage Angst-Kracher “Schizophrenia.” Olafur Eliasson hat eine kybernetische Zeichenmaschine gebaut, die das Rattern des Zugs in eine zittrige Linie verwandelt. Der Italo-Disco Innovator Giorgio Moroder findet …

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Doktor arbeitslos?

In regelmäßigen Abständen geistert durch das Feuilleton das Schreckgespenst Promotion in den Geisteswissenschaften. Gerade gestern wieder erschien unter der Überschrift Generation Y: Das Jetzt ist eine Wartehalle in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Erfahrungsbericht einer Doktorandin, die kurz vor Abschluss der Promotion in die Bewerbungsphase eingetreten ist. Die tl;dr Kurzversion: alles schlimm, alles hoffnunglos. Ab ins Bett mit Princess Sparkle, dem rosa Plüsch-Einhorn kuscheln. In der Embryonalstellung – okay, das habe ich hinzugefügt – fühlt sie sich endlich wieder wie 5, völlig losgelöst von allen Problemen des Erwachsenendaseins. Und hätte die Autorin eine Freundin wie Ronja von Rönne, hätte die ihr längst das rosa Einhorn aus den Händen gerissen, es in die nächste Mülltonne gestopft und ihr ins Gesicht gebrüllt: „Steh auf, sei egoistisch, kämpf für Dein Glück und jammer nicht in der Zeitung über Dein Unglück. Und schreib gar nicht erst ein ganzes Buch darüber, dass Du keinen Job bekommst und eine falsche Entscheidung getroffen hast.“ Bei dem Text in der FAZ handelt es sich, das nur so nebenbei, um einen Auszug aus Tabea …

Alte Meister in der Gemäldegalerie

„Ich hasse die Sonne. Sie wissen, ich hasse die Sonne wie nichts sonst auf der Welt.“ Und außerdem: „Ich gehe wegen dieser Sitzbank in den Bordone-Saal und wegen des idealen Lichteinflusses auf mein Gemütsvermögen, tatsächlich wegen der idealen Temperaturverhältnisse gerade im Bordone-Saal (…).“ „Tatsächlich habe ich von Kindheit an nichts mehr gehasst, als die Museen, sagte er, ich bin von Natur aus ein Museumshasser, aber ich gehe wahrscheinlich gerade aus diesem Grunde seit über dreißig Jahren hier herein, ich leiste mir diese zweifellos geistige Absurdität.“ „Was denken und was reden wir nicht alles und glauben wir sind kompetent und sind es doch nicht, das ist die Komödie, und wenn wir fragen, wie soll es weitergehn?, ist es die Tragödie.“ „Die Kunst ist das Höchste und das Widerwärtigste gleichzeitig, sagte er. Aber wir müssen uns ja einreden, daß es die hohe und die höchste Kunst gibt, sagte er, sonst verzweifeln wir.“ Alle Zitate: Thomas Bernhard, Alte Meister (Suhrkamp)