Alle Artikel mit dem Schlagwort: Gegenwartskunst

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Es menschelt gar nix. Die RAY-Fotografieprojekte in Frankfurt

“Dass die faktische Abbildung von Realität in jeder Kunstform ein Trugschluss ist, ist allgemein bekannt,” wird der Leser des RAY-Katalogs zu Beginn belehrt. Weiß ich, denkt man sich. Aber irgendwie muss der epistemische Zweifel an der Fotografie nochmal als Mantra vorangestellt werden, denn trotz allem ist da noch eine Erwartung an Fotografie. Denn Fotografie ist immer noch das bevorzugte Medium der Reportage, so als könnte sie das Entfernte und Unzugängliche nah heranholen. „Imagine Reality“ ist der Titel der zweiten Ausgabe der Fotografieprojekte Rhein-Main, eine Leistungsschau zeitgenössischer Fotografie in und um Frankfurt. Es geht um die vorgestellte Realität, oder doch eher um gar nichts, wie Clemens Meyer im Vorwort „Imagine GARNIX“ zum Katalog proklamiert. Was ist los mit dem dokumentarischen Wert von Fotos? Ein wenig bleibt von der Reportagefotografie: Lucas Foglias  Bilder aus dem Mittleren Westen der USA erinnern an die Zeit der großen Depression in den 1930ern. Die Farm Security Administration beauftragte Fotografen, die Armut auf dem Land zu dokumentieren. Foglias Figuren sind einsam in menschenleeren Landschaften. Ein Mann zielt mit einem Gewehr auf eine Kuh, die ganz …

In Kreuzberg und anderswo trinkt man wieder Filterkaffee. Foto: Anika Meier

Wachbleiben. Kleine Kulturgeschichte des Kaffees

Kreuzberg, Hackney oder Williamsburg heißen die Stadtteile, in denen die dritte Kaffeerevolution stattfindet. Seit der Kaffee im 17. Jahrhundert nach Europa kam, und seit es in den 1950ern chic wurde, Espresso zu trinken wie die Helden italienischer Filme, hat sich einiges getan. Vielleicht ist das gar kein Umsturz. Aber es ist neu, dass die arrivierten Mittelstandskaffeetrinker jetzt genau wissen wollen, woher ihr Kaffee kommt. Pur soll er getrunken werden, ohne Haselnuss- oder Himbeersirup, ohne Sahne oder Sojamilchschaum. Die Frage nach der Röstung ist wichtiger als die Frage nach Milch und Zucker (weder noch, ist meistens die Antwort). Hier geht es vor allem um den Kaffee. Aber beim Kaffeetrinken geht es auch um alles andere. Die Geschichte des Kaffees ist die Geschichte der europäischen Moderne. Oder umgekehrt. In den ersten Kaffeehäusern in England, um 1650, herrschte ein egalitärer Geist, zumindest unter denjenigen, die sich das teure Getränk leisten konnten. Es durfte sich jeder neben jeden setzen, und jeder durfte mit jedem sprechen. In Paris eröffnete 1689 das Café Procope. Anne-Antoinette Diderot gab ihrem Mann jeden Tag neun …

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Gartenzwergidyll mit Goethe. Ottmar Hörl in Frankfurt

Seit einigen Tagen sind Studierende der Goethe-Universität von einer beachtlichen Menge an Standbildern verwirrt. Die Objekte tragen die Züge von Johann Wolfgang Goethe, mit leicht verkindlichten Proportionen. Eine zweisprachige Broschüre informiert darüber, dass die Plastiken 107 cm hoch sind, die Farben Purpurrot, Enzianblau, Honiggelb und Türkisgrün haben, und aus Kunststoff gefertigt sind. Das Berühren der Plastiken ist verboten, worüber ein Wachmann vor dem Haupteingang der Universität mit strengen Blick wacht. Ein Handzettel gibt folgende Auskunft: Seit vielen Jahren überrascht Ottmar Hörl, international berühmter Konzeptkünstler, die Welt mit verblüffenden plastischen Konzepten, basierend auf der Maxime „Skulptur als Organisationsprinzip“. Seine Vision: Möglichst viele Menschen in einen kulturellen Diskurs miteinzubeziehen. Mit einer temporären Kunst-Installation aus 400 seriellen Goethe-Figuren verwandelt er die Grünfläche auf dem Campus Westend vor dem Haupteingang des IG Farben-Hauses in eine Identität stiftende, bildstarke, kommunikative Großskulptur. Damit wird ein Impuls zur zeitgemäßen Auseinandersetzung mit dem 1749 in Frankfurt geborenen Universalgelehrten gesetzt.   Eine Google-Suche nach dem Konzeptkünstler führt schnell zu seinem Onlineshop, wo man die Goetheskulpturen auch für den eigenen Vorgarten erwerben kann. Mit wenig …

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Zurück in welche Zukunft? Mark Fishers Essayband „Ghosts of My Life“

In Frankreich begeistert man sich derzeit wieder für Techno. Man muss sich nur die EP von Panteros666 (Bromance Records, 2013) ansehen und anhören: Das Cover und der Klang erinnern an die Thunderdome-Hardcore Compilations aus den 1990ern, nur eben so, dass auch Kunststudierende das gut finden können. Die Platte heißt passenderweise auch „Hyper Reality,“ benannt nach einem der Lieblingstheoreme der 1990er.     Überhaupt erinnert die sogenannte post-internet Ästhetik irgendwie daran, wie man sich in den 1990ern die Zukunft vorstellte. Diese Erscheinungen spielen natürlich Mark Fisher in die Hände, der in seinem demnächst erscheinenden Essayband „Ghosts of My Life“ mit Unbehagen behauptet, die Popkultur sei seit mindestes einem Jahrzehnt in der Wiederholungsschleife. Seine Essays stammen aus der Frieze, e-flux oder von Fishers eigenem Blog k-punk. The slow cancellation of the future, so heißt die Losung, die Fisher in dem gleichnamigen Text ausgibt. Zukunft ist bei ihm der Begriff, von dem eine geradezu magische Suggestivkraft ausgeht. Die Erwartung des Fortschritts, ob im marxistischen oder im bürgerlichen Sinne, war die Hoffnung der Moderne. Spätestens mit den italienischen Futuristen beginnt …

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Alles so schön echt hier. Dietmar Dath und Swantje Karichs „Lichtmächte“

1944 schrieb der amerikanische Filmkritiker Parker Tyler, das Licht habe die Nacht erobert. Der moderne Großstadtbewohner lebt nach Einbruch der Dunkelheit im Wachzustand weiter, nur ohne die Last der Lohnarbeit. Hollywood, das damals noch als pars pro toto für das Kino an sich stand, macht den Tagtraum des Fließbandarbeiter für alle nach Feierabend verfügbar. Das Kino ist darauf angewiesen, dass man ihm eine einfache Geschichte abnimmt: Am Abend gibt es für den Preis einer Eintrittskarte den Traum und die individuellste Wunscherfüllung zu kaufen. Aber auch das Kino, so Tyler, wo der Traum sich nach der Logik der klassischen Hollywood-Erzählung zu richten hat, wo die konventionellsten Emotionen verkauft werden, arbeitet doch nur mit Licht und Schatten. Wenn man Tylers These verkürzen will, kann man sagen: Wer das Licht hat, hat die Macht über den kollektiven Tagtraum. Damals musste man noch ins Kino gehen, um einen Hollywoodfilm zu sehen, Underground-Kino bekam man wahrscheinlich gar nicht zu sehen, außer man lebte in einem der kulturellen Zentren der USA. Heute ist es überhaupt nicht mehr nötig, an einen bestimmten …