Kritik
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Doktor arbeitslos?

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In regelmäßigen Abständen geistert durch das Feuilleton das Schreckgespenst Promotion in den Geisteswissenschaften. Gerade gestern wieder erschien unter der Überschrift Generation Y: Das Jetzt ist eine Wartehalle in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Erfahrungsbericht einer Doktorandin, die kurz vor Abschluss der Promotion in die Bewerbungsphase eingetreten ist. Die tl;dr Kurzversion: alles schlimm, alles hoffnunglos.

Ab ins Bett mit Princess Sparkle, dem rosa Plüsch-Einhorn kuscheln. In der Embryonalstellung – okay, das habe ich hinzugefügt – fühlt sie sich endlich wieder wie 5, völlig losgelöst von allen Problemen des Erwachsenendaseins. Und hätte die Autorin eine Freundin wie Ronja von Rönne, hätte die ihr längst das rosa Einhorn aus den Händen gerissen, es in die nächste Mülltonne gestopft und ihr ins Gesicht gebrüllt: „Steh auf, sei egoistisch, kämpf für Dein Glück und jammer nicht in der Zeitung über Dein Unglück. Und schreib gar nicht erst ein ganzes Buch darüber, dass Du keinen Job bekommst und eine falsche Entscheidung getroffen hast.“ Bei dem Text in der FAZ handelt es sich, das nur so nebenbei, um einen Auszug aus Tabea Mußgnugs am 23. Juli erscheinendem Buch Nächstes Semester wird alles anders. Zwischen Uni und Leben! Für alle, die denken, sie bräuchten einen Plan (S. Fischer). In den ganzen Schlamassel ist Tabea Mußgnug auch nur geraten, weil es in der Kunstgeschichte sei wie in Bio und Chemie, das sagt sie zumindest: „Entweder du promovierst, oder du sortierst im Rewe die Regale ein.“

Im Februar schien sich in den Feuilletons schon einmal alles um das Thema des Doktorandendaseins zu drehen beziehungsweise: um das wissenschaftliche Prekariat oder die Verfilmung von Fifty Shades of Grey. Da war von der Generation Volontariat die Rede, man sprach vom Prekariat mit Doktorgrad, die Postdoc-Phase seien Wanderjahre ins Ungewisse, aber da muss man erst einmal hin wollen. Zwischendurch rief Dietmar Dath dazu auf, die Peitsche zu vergessen, während die taz neun Do-it-yourself Tipps für SM-Spielzeug aus dem Baumarkt zur Hand hatte.

Marktschreierisch verkündete die taz außerdem: „Arbeitslose Akademiker: 400 Bewerbungen und kein Job“. Heftig.co. Eine ehemalige Praktikantin berichtet von ihrer Jobsuche nach Abschluss der Promotion, Note 1.0, man will ihr keinen Job geben, sie ist heillos überqualifiziert, von einem Gehalt von 1.100 Euro monatlich kann sie nur träumen, aber nicht einmal das will man ihr geben. Ob sie sich denn selbst nicht mehr wert sei, wird sie gefragt. Einzelfall, irgendwas macht sie falsch, die Reaktionen darauf. So einfach ist das alles aber nicht.

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Auch wenn die Edition F einen das glauben lassen möchte. Unter der Überschrift „Geisteswissenschaften, und dann?“ fuchtelt die Autorin Anne Ritter wild mit der rosaroten Brille herum und erklärt einem, dass der Geisteswissenschaftler die Allzweckwaffe sei. Der Geisteswissenschaftler als wandelndes Schweizer Taschenmesser. Alles sei möglich, von Bildung und Erziehung über die Kommunikations- und Medienbranche oder Fremdsprachen und Tourismus bis in die Politik und Wirtschaft. Die Karriereplanung müsse zur Mitte des Studiums beginnen, dann, ja dann ist der „Weg in den Traumjob“ geebnet.

Vielleicht braucht man ja tatsächlich einen Plan und nicht nur ein rosa Plüsch-Einhorn im Bett. Was sind Eure Erfahrungen? Promotion in den Geisteswissenschaften: ja, nein? Wohin führt der Weg mit und ohne Promotion? Auf Eure Antworten in unserem Kommentarbereich freuen wir uns.

7 Kommentare

  1. M. aus Heidelberg sagt

    Vielleicht ist es aber auch - glücklicherweise - so, dass die Geisteswissenschaftler eben alle keine „karrieregeilen Erfolgsmenschen“ sind?!

    Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen. Ich studiere ebenfalls eine „brotlose“ Geisteswissenschaft, aber ich habe Spaß daran und das Gebiet interessiert mich. Wenn ich danach später arbeitslos sein sollte… was soll’s?

    Ich glaube Geisteswissenschaftler stehen über so primitiven Dingen wie „Karrierestreben“ und sehen ein Studium nicht als „Mittel zum Zweck“ sondern als Selbstzweck an.

      • M. aus Heidelberg sagt

        Wenn Geisteswissenschaften in der Gesellschaft so unnütz geworden sind, dass man damit keinen Job mehr bekommt, dann lebe ich lieber von HartzIV als dass ich mich zur Hure der Wirtschaftskonzerne mache und BWL oder so einen Kram studiere.

        • Gast sagt

          Mich würde interessieren, wie Sie das in ein paar Jahren sehen, wenn Sie erwachsen geworden sind.

  2. Dass ich ohne Doktor beim Rewe die Regale einräumen würde, ist mir neu. Ich kann diese Behauptung für die Chemie jedenfalls nicht bestätigen.

    Möglicherweise spielt ja auch eine Rolle, dass man sich de facto ohne Berufsabschluss die von meinem Vorkommentator demonstrierte und generell recht typische Selbstgerechtigkeit einfach nicht erlauben kann.

    Übrigens studieren die meisten Leute auch Naturwissenschaften vor allem aus Neigung. Weil man das Studium sonst ziemlich sicher nicht durchhält.

    • Nur ich sagt

      „Übrigens studieren die meisten Leute auch Naturwissenschaften vor allem aus Neigung. Weil man das Studium sonst ziemlich sicher nicht durchhält.“

      Ich denke ebenfalls, dass hier der Hund begraben liegt. Die allermeisten Menschen besitzen nunmal Neigungen und Begabungen in gewissen von ihnen nicht bestimmbaren Bereichen. Dagegen „anzulernen“ macht aus dem Sprachkünstler trotzdem nur einen unterdurchschnittlichen und wohl recht unglücklichen Ingenieur.
      Dass momentan z.B. mathematisch ausgerichtete Denkweisen/Fächer (siehe MINT) monetär und (vielleicht deswegen) statusmäßig honoriert werden, ist dem gerade vorherrschenden Zeitgeist der Utilitarisierung geschuldet und muss nicht auf alle Ewigkeit so bleiben. Das eigentliche Problem bei diesem „gebashe“ ist aber mE die menschliche Unsitte, andersartige(s) negativ zu bewerten. Und hier trifft es diesmal Menschen mit einem „nichtarithmetischen Denkmuster“: Querdenker, expressiv aber auch (emotional) musteranalytisch begabte Personen- also fast alle Fachbereiche der geistes- sozial- und kulturwissenschaftlichen Fächer, bekommen momentan oft kaum einen Fuß auf den Boden, da die Entscheider im Personalwesen mit den nichtquantifizierbaren Begabungen jener Personen mehrheitlich nichts anfangen können.
      Dabei sind zum Gelingen menschlichen Zusammenlebens alle Facetten unserer Mitmenschen vonnöten. Die gerade hippe Marktlogik raubt unserer Gesellschaft hier kluge Köpfe, die wir uns im Falle einer drohenden sozialen und kulturellen Stagnation in der „Postproduktionswirtschaft“ vielleicht bald sehr sehnlich herbeiwünschen würden. Dumm nur, wenn sie bis dahin verhungert sind, da sie ja ihr Brot nicht „verdient“ haben.

  3. Dennis Dortmund sagt

    Ja Leute… teilweise haben sie ja auch Recht mit den Artikeln. Ich merke es selber, dass es schwieirig ist. Aber ich habe seit Mitte meines Studiums darauf hingearbeitet im Journalismus (Redaktion oder Presse-/Öffentlichkeitsarbeit) einen Platz zu finden und bin praktisch zweigleisig gefahren.

    Ich bewerbe mich gerade auf diverse Stellen und muss natürlich auch abwägen. Es gibg „ZAHLREICHE“ Stellen im Pressewesen. Aber natürlich auch zahlreiche Bewerber… Dennoch bin ich zuversichtlich, dass dabei etwas rumkommt. Ob der Idealfall - Pressearbeit plus Themen des Studiums (was durchaus möglich ist) dabei rumkommt…. muss man abwarten.

    Bisdahin ist es wirklich manchmal echt frustrierend, das gebe ich zu. Aber manche Themen und Studienfächer sind halt wirklich - „orchideenhaft“. Man muss abwägen zwischen Interesse und den Essentials, wozu leider auch Geld gehört. (leider, leider)

    LG
    Dennoch

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