Kunsthistoriker im Gespräch
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Kämpfer für den öffentlichen Raum

Maurer wollte Klaus Staeck nach dem Abitur im ostdeutschen Bitterfeld nicht werden und floh deshalb 1956 in den Westen, um in Heidelberg Jura zu studieren. Schon während des Studiums war er als Künstler tätig und gründete die „Edition Tangente“, heute „Edition Staeck“, in der er unter anderem sozialkritische Plakate und alternative Postkarten verlegt, die heute sogar als E-Cards über seine Homepage versendet werden können. Gemeinsam mit Joseph Beuys gründete er in den 70ern die „Freie Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung“, in den 80ern folgte die Aktion „Wir schreiben nicht für Springer-Zeitungen“ mit Günter Grass, Heinrich Böll und Walter Jens, in den 90ern beginnt er mit dem Projekt „Flagge zeigen“, 2006 ist er schließlich auf öffentlichen Vorschlag des Dramatikers Rolf Hochhut zum Präsidenten der Berliner Akademie der Künste gewählt worden.

Bei all seinen Aktionen setzt der Politgrafiker auf Satire und Provokation, Skandale blieben nicht aus: 41 mal wurde erfolglos versucht, seine Plakate und Postkarten juristisch verbieten zu lassen. Immer wieder weist der Künstler auf gesellschaftliche Missstände, politisches Fehlverhalten seitens CDU/CSU - er selbst ist Mitglied der SPD - und ökologische Verbrechen hin, wofür er erstmals 1970 durch Erhalt des Zille-Preises für sozialkritische Grafik geehrt wurde. Über 300 Postkarten- und Plakatmotive hat Staeck seit Mitte der 60er Jahre entworfen, in Heidelberg wird nun eine Auswahl davon gezeigt.

 

„Nichts ist erledigt“, lautet der Titel Ihrer Ausstellung in Heidelberg. Was gibt es jetzt noch zu tun?

Es gibt viel zu tun! Damals haben die Leute über meine Umweltplakate gelacht oder waren verwundert, dass ich solche Themen aufgreife. Das war vor über 30 Jahren. Heute lacht niemand mehr, aber es hapert an der Umsetzung. Da die Situation ökologisch immer dramatischer wird, bleibt sehr viel zu tun. Ich hoffe, dass die Leute doch noch zu der Einsicht kommen, dass sie selbst ein Teil der Natur sind und nicht weiter nach dem Motto handeln: Macht euch die Erde untertan.

Ihre ironischen wie provokanten Plakate, mit denen Sie den ein oder anderen Skandal produziert haben – Sie sind nicht zuletzt über 40 Mal verklagt worden – werden in der Ausstellung unprätentiös, fast bescheiden präsentiert. Wenden Sie sich damit gegen den Trend, dass eine Ausstellung gleichzeitig auch ein Event sein muss?

Heute lacht niemand mehr über Staecks umweltpolitische Plakate. ⓒ Klaus Staeck, 1983.

Ich habe nichts gegen sinnvolle Events. Ich habe ja auch auf die verschiedenste Art und Weise auf die Missstände aufmerksam gemacht, die ich in meinen Plakaten darstelle. Wenn es aber nur noch inhaltslose Events gibt, die nur der Sensationslust frönen, dann halte ich nichts davon.

In meiner Ausstellung zischt es nicht, es kracht nicht, es gibt auch keine Musik parallel wie beim Friseur. Es ist eine stille Ausstellung, die zur Beschäftigung zwingt. Deshalb auch die erklärenden Texte neben den Werken. Wenn man jünger ist, hat man manche politischen Zusammenhänge nicht präsent. Offenbar gibt es einen Bedarf nach dieser intensiven Betrachtung, denn meine Arbeiten setzen immer den zweiten oder dritten Blick voraus - das ist das Wesen der Satire. Es freut mich, dass das Kurpfälzische Museum sagt, es sei eine ihrer meist besuchten Ausstellungen.

Kunst muss nichts

Welche Rolle kann der Kunst im 21. Jahrhundert hinsichtlich der politischen Meinungsbildung zukommen?

Zukommen kann, das ist das Entscheidende. Ich war immer der Meinung, Kunst muss nichts. Entscheidend ist, was sie kann. Kunst kann, wie es abstrakt so schön heißt, die Wahrnehmung schärfen. Ich bin jemand, der Politik verteidigt, der natürlich aber auch oft mit der Sprache der Politiker unzufrieden ist, die dann doch sehr geschliffen ist und für den letzten Wähler kompatibel gemacht wird. Wie ein Wasserfall, der immer gleichmäßig fließt, aber niemand hört mehr hin. Künstler haben die Chance an Themen anders heranzugehen, eine andere Sprache zu sprechen. Ob es so weit geht, wie gesagt wird, dass Kunst ein Lebensmittel sei, das wage ich immer mehr zu bezweifeln. Denn es kommen doch sehr viele Menschen ohne dieses Lebensmittel aus. Von daher ist das eine schöne Vorstellung und auch Ansporn, dass Kunst nicht bloß eine Sättigungsbeilage ist. Mir war immer wichtig, dass Kunst eben nicht bloß eine Nebensache ist, auf die man gut verzichten kann. Demnächst wird sich das zeigen, wenn es nämlich darum geht, wie die Kommunen, die unter einer großen Finanznot leiden, ihre Kunsteinrichtungen erhalten und verteidigen.

Kunst ist also ein Mittel, um einen Riss in eine Oberfläche zu bringen, um den Blick für das Dahinter zu schärfen?

Das haben Sie schöner formuliert, als ich es sagen könnte.

Ihr künstlerisches Medium ist das Plakat. Könnte das Plakat heute ein anachronistisches Medium sein? Wie schätzen Sie die Wirkung Ihrer Plakate ein?

Seit Mitte der 60er Jahre politisch und künstlerisch aktiv: der Plakatkünstler Klaus Staeck.

Seit ich Plakate mache, werden sie totgesagt und als ein antiquiertes Medium betrachtet. Wenn Sie sich umschauen, sehen Sie, dass überall noch Plakate geklebt werden und zwar meist die Großflächen, die sehr teuer sind. So ernst kann es mit dem Ableben also noch nicht sein. Je flüchtiger die Bilder elektronisch um die Welt kreisen, desto mehr hat das starre Medium Plakat wieder eine Chance – unter anderem deshalb habe ich mich dem Plakat verschrieben. Nur der flüchtige Blick auf ein satirisches Bild – das sind ja Bilder, die ich mache -, hat oft keine Chance, zum Inhalt des Plakates vorzudringen. Es entsteht hoffentlich immer eine Irritation, wenn Bild und Text wie bei meinen Arbeiten oft nicht zusammenpassen. Die Beschäftigung setzt oft erst später ein. Erst beim zweiten oder dritten Blick und nach intensiver Überlegung erscheint im Betrachter das Bild wirklich. Dem elektronischen Medium traue ich das nicht zu.

Die Konfrontation des Betrachters mit dem Plakat ist unmittelbarer, wenn er durch die Stadt läuft und plötzlich vor einem Plakat steht, als wenn er sich durch Internetseiten klickt.

Solange wir noch atmende Wesen sind und durch unser Gemeinwesen gehen, solange werden wir hoffentlich noch mit Überraschungen konfrontiert. Ich habe diese Hoffnung. Was die Zeitung anbetrifft, da sieht es inzwischen ganz anders aus. Immer häufiger wird spekuliert, dass die Zeitung in Papierform keine große Überlebenschance mehr haben wird. Ich bedauere das sehr, da ich ein „Papiermensch“ bin. Ich brauche etwas Haptisches, etwas zum Anfassen, nicht bloß ein Gerät, das mir etwas vorflimmert.

Beginn der Barbarei

Wie beurteilen Sie hinsichtlich der größeren Beständigkeit des Papieres Graffitis, die direkt auf die Wand gesprüht werden, beispielsweise des britischen Künstlers Banksy, der ebenfalls satirisch und provokant vorgeht?

Graffiti ist nicht gleich Graffiti, wie es auch in der Kunst große Unterschiede gibt. Ich bin eng befreundet mit Harald Naegeli, der in der Schweiz sehr aktiv gesprayt hat. Mit ihm habe ich ein Interview geführt, in dem er sich vehement von den Sprayern absetzt, die nur ihre Tags an die Wände sprühen. Ich habe salopp gesagt, sie seien wie Hunde, die ihr Revier markieren. Dennoch habe ich mal sehr dafür gekämpft, dass Grafittisprayerei juristisch nicht zu einem Vergehen hochstilisiert wird. Im Bundestag sollte ein Gesetz eingebracht werden. Ich habe mich mit anderen erfolgreich dagegen gewehrt. Inzwischen bekomme ich Zweifel, vor allem, wenn ich sehe, dass jemand an die mühsam restaurierte Alte Brücke in Heidelberg sein Tag setzt. Das ist der Beginn der Barbarei – ich sage das mit aller Härte. Ein Graffiti kann eine Bereicherung sein, wie an der Betonmauer eines alten Parkhauses. An einer wieder hergestellten Tür eines Bürgerhauses ist es Barbarei. Banksy macht Kunst, überzeugende Kunst, Naegelis Graffiti würde ich auch darunter rechnen.

Haben Sie früher vielleicht selbst einmal in Heidelberg Graffiti gesprüht?

Wie eine Fatamorgana eröffnet sich der Südseestrand hinter dem „Schutzwall“ am Gazastreifen.

Nein. Es gibt nur eine Situation, in der ich zur Spraydose gegriffen habe als einmal jemand an die Mauer meiner Galerie gesprüht hatte: „Herr Staeck, Sie sind schon blass“. Womit er mir sagen wollte: Junge, mit Dir ist auch nichts mehr los. Das habe ich stehen lassen und darunter gesprüht: „Die Zeiten sind auch danach. Staeck“.

Nein, das ist nicht meine Arbeitsweise. Man muss ja auch damit rechnen, dass es sofort wieder übermalt wird.

Der öffentliche Raum kann ein Medium zur Demokratisierung der Kunst und zur freien Meinungsäußerung sein?

Ich bin ein Kämpfer für den öffentlichen Raum, in diesem Fall ist das Wort „Kämpfer“ angebracht. Weil ich behaupte, nur darin spielt sich Demokratie wirklich ab, alles andere ist reglementiert, eingeschränkt und hat mit Demokratie sehr wenig zu tun. Die Privatisierungsorgien, die zeitweilig stattgefunden haben – die Gefahr ist noch nicht gebannt, haben den demokratischen Raum immer mehr eingeschränkt. Deshalb muss man behutsam damit umgehen, man kann ihn nicht beliebig für die Barbarei benutzen.

Kommen wir auf ein aktuelles Ereignis zu sprechen. Erst vor wenigen Tagen wurden Sie mit einem Satire-Stern auf dem „Walk of Fame des Kabaretts“ geehrt, der in wenigen Tagen vor dem Deutschen Kabarettarchiv in Mainz enthüllt wird. Fühlen Sie sich und Ihre Arbeit damit geehrt?

Mich hat es überrascht, weil ich nach der klassischen Definition zunächst kein Kabarettist bin. Aber die Auszeichnung heißt „Satire-Stern“. Dass ich Satiriker bin, das habe ich nie geleugnet und das kann man auch an meinen Arbeiten ablesen. Insofern fühle ich mich geehrt. Vielleicht ist es ein bisschen viel der Ehre, wenn man die Phalanx der 64 Vorgänger sieht, die zum großen Teil berühmte Kabarettisten sind und waren. Ich fühle mich geehrt und freue mich darüber. Denn das was ich mache, findet in einem Grenzbereich zwischen Kunst und Politik statt. Die Leute wollen immer gerne wissen, ob es denn nun Kunst oder Politik ist. Ich halte es bewusst in der Schwebe, weil ich die Hoffnung habe, dass sich die Leute über diese Frage mit den Inhalten befassen. Man hat einen Einstieg mit Menschen in Kontakt zu treten, was ich über meine Arbeiten stets will.

Gegen die Spießigkeit

Mittels Kunst haben Sie auch während des Festivals „intermedia 69“ kommuniziert und die Heidelberger Neckaridylle gestört. Was halten Sie von heutigen Studentenprotesten, beispielsweise der Besetzung der Universität in Heidelberg im vergangenen Jahr?

Ich habe damals das Festival zusammen mit Jochen Goetze organisiert, gegen erhebliche Widerstände in der Stadt. Es war auch ein Akt der Befreiung, da es in Heidelberg doch recht spießig zuging. Kunst war für uns dabei eine Möglichkeit die Pseudoidylle zu stören – und das wollten wir auch, zum Beispiel mit der Verpackung des Amerikahauses (heute: Deutsch Amerikanisches Institut).

Himmelfahrtsereignis: Christo verpackte an Christi Himmelfahrt 1969 unter Protesten von Studenten, heimkehrenden Vatertagsgruppen und neugierigen Bürgern das Amerikahaus in Heidelberg.

Die heutigen Studentenproteste finde ich erst einmal legitim. Die Politiker berichten stets, die Bildung müsse gefördert werden, kürzen am Ende aber die Ausgaben für Bildung. Das ist unverzeihlich in unserer Situation. Ich habe zufällig gesehen wie die Alte Uni geräumt wurde und habe mich, wie sicherlich viele andere auch, über den martialischen polizeilichen Aufwand mehr als gewundert. Das war fast so, als müsste die Revolution niedergeschlagen werden. Ich glaube, dass man heute für den Protest noch viel mehr Phantasie einsetzen muss, und da ist in Folge von ‘68 eine Menge geblieben. Als ich studiert habe, war alles ganz harmlos. Ein Transparent zu malen, das war schon eine Leistung. Ich habe damals Anfang der 60er Jahre die erste Spiegel-Demonstration mit organisiert. Wir waren Anfänger und wussten nicht einmal, wie man eine Demonstration anmeldet. Das ist heute Allgemeingut.

Die friedliche Besetzung der Aula war für mich eine legitime Möglichkeit, um auf einen eklatanten Missstand hinzuweisen. Was soll man sonst machen außer friedlich etwas zu besetzen? Die Besetzung kennen wir aus der Anti-Atombewegung, die Demonstrationen gehen zurück auf den Protest gegen die Notstandsgesetze. Inzwischen ist es eine demokratische Tradition, solange es nicht in Gewalt ausartet. Und es ist eine Frage der Zähigkeit. Ich glaube, man braucht heute einen viel längeren Atem als damals. Denn alles wird geschluckt und abgehakt, es gibt drei Zeitungsartikel und dann war es das. Und schon kommt die nächste Geschichte. Die eigentlichen Probleme werden dadurch zugeschüttet.

Probleme gab es auch bei der „intermedia 69“, etwa bei Christos Verpackung des Amerikahauses. Wie waren damals die Reaktionen?

Ende der 1960er Jahre machten die Studenten die CIA als Urheber des Verpackungs-Spektakels aus, die es zu bekämpfen galt.

Die Reaktionen der Bevölkerung bestanden in Ratlosigkeit, die der Studenten eher in Aggression. Natürlich war ein Teil der Studentenschaft auf unserer Seite und unterstützte uns tatkräftig bei der Organisation und auch bei der Verhüllung selbst. Zugleich gab es eine merkwürdige Antihaltung, der sich damals sehr revolutionär fühlenden Studenten nach dem Motto: Kunst ist eine bürgerliche Beschäftigung. Das Amerikahaus war im Rückblick auf den Vietnamkrieg ein Symbol für den amerikanischen Imperialismus geworden und bot daher eine schöne Projektionsfläche für Parolen und Sprüche aller Art. Wir waren in Sorge, dass jemand die Verpackungsfolie anzünden könnte und haben deshalb das Experiment nach vier Tagen abgebrochen, da es nicht weiter zu verantworten war. Und das obwohl ein einsatzbereites Feuerwehrauto die ganze Zeit hinter dem Amerikahaus stand. Die große Zeit des Umbruchs ‘68 war keine sehr kunstfreundliche Zeit, angesagt waren koreanische und chinesische Holzschnitte und Bilder aus der Mao-Zeit.

Mit dem Projekt „intermedia“ haben Sie sich gegen die Jubiläumsausstellung „Plastik der Gegenwart“ im Heidelberger Kunstverein und den damaligen Kunstbegriff gewendet.

Ja, wir haben uns gegen die Spießigkeit, egal ob links, rechts oder kleinbürgerlich gewendet. Es gibt ja meist verschiedene Varianten des gleichen Phänomens. Wir haben immer das getan, was wir als richtig erachteten, unabhängig vom Zeitgeist. Das mache ich auch heute noch so. Mich interessieren die langen Linien, nicht so sehr das Tagesgeschäft. Oft kommen Leute auf mich zu und fragen, wo ein Plakat zu diesem oder jenem Thema sei. Ich kann aber nicht zu jedem Problem ein Plakat machen, sondern war immer darauf bedacht, wirkliche Probleme anzusprechen. Ich finde es fast bedrückend, dass nichts erledigt ist. Fast alle Inhalte sind aktuell geblieben, haben sich zum Teil sogar verschärft. Das macht mich sehr nachdenklich und lässt mich überlegen, ob es andere Möglichkeiten gibt, um in das Geschehen einzugreifen.

Darin kann man eine Bestätigung sehen, dass Sie sich mit den richtigen Themen befasst haben.

Es ist gar nicht schwer, geeignete Themen zu finden, wenn man eine persönliche Haltung hat, mit der man das Zeitgeschehen betrachtet. Viel schwerer ist es, eine Möglichkeit zu finden, seine Kräfte sinnvoll einzubringen. Ich bin ein Mensch der Tat und nicht nur des Wortes. Wie kann ich mit den Möglichkeiten, die ich habe, auf etwas aufmerksam machen und immer wieder eingreifen? Es ist ja nicht so, dass man Plakate macht und dann ändert sich automatisch etwas.

Gefährliche Zuschauerdemokratie

Sie haben die Haltungs- und Tatenlosigkeit und den zunehmenden Rückzug aus der Politik, vor allem unter jungen Leuten, in Ihrem Buch „Ohne Auftrag. Unterwegs in Sachen Kunst und Politik“ thematisiert. Wie können sich junge Menschen in den politischen Alltag einmischen?

Ich sage das nicht allgemein, es gibt ja junge Leute, die sich engagieren. Sie tun das in der Regel aber mehr vereinzelt und oft nicht in einem kontinuierlichen und organisierten Zusammenhang – das Wort klingt schrecklich. Neulich hat mir jemand erzählt, dass auch die freiwillige Feuerwehr Probleme mit dem Nachwuchs hat. Alle haben Probleme mit dem Nachwuchs, die einen organisatorischen Zusammenhalt brauchen, bis hin zu Greenpeace und Amnesty International.

Wir auch.

Ich weiß, das haben alle. Wenn man sich die Wahlen für hochschulpolitische Gruppen ansieht, wer lässt sich denn heute noch aufstellen? Die Individualisierung, die per se nichts Schlechtes ist, hat zu dem Missverständnis geführt, dass man meint, man ist immer nur aufgerufen etwas zu tun, wenn man selbst tangiert wird. Ich vermisse die Bereitschaft sich altruistisch, früher nannte man das solidarisch, für etwas einzusetzen, ohne dabei den persönlichen Vor- oder Nachteil zu kalkulieren, allein aus der Überzeugung heraus, dass es notwendig ist. Ich ermutige immer Leute wie Sie, in dem Falle Ihre Zeitschrift zu machen. Viele sagen bloß, man müsste dieses und jenes tun, dann kommt aber die entscheidende Barriere, vielleicht sollen das doch lieber die anderen machen. Mit dieser Haltung werden wir auf Dauer nicht auskommen, denn die großen Probleme sind nicht durch individuelle Einsprüche zu lösen. Die Zuschauerdemokratie, die wir inzwischen haben und das nicht nur, was das Fernsehen anbetrifft, ist ungeheuer gefährlich, weil es immer Kräfte gibt, die ganz etwas anderes mit den Menschen vorhaben und die sich durchaus gut vernetzen und organisieren.

Mit diesem Steckbrief machte Staeck gemeinsam mit Greenpeace die Schuldigen der Umweltzerstörung durch FCKW aus. ⓒ Klaus Staeck, 1990.

Dennoch glaube ich, dass die Bürger eine große Macht haben und nicht nur die Politiker. Politiker sind immer häufiger Leute, die für Dinge Verantwortung übernehmen, die sie längst nicht mehr haben, die längst auf andere delegiert worden ist – Institutionen, die Wirtschaft und andere Bereiche. Solange Formel-1-Rennen für RTL die einträglichsten Sendungen sind, solange wird das weitergehen. Solange das „Dschungel Camp“ die meist gesehene Sendung ist, solange wird der Wahnsinn existieren.

Ich wende mich immer an die Menschen direkt und nicht nur an die unmittelbar Verantwortlichen, weil sie ein Teil des Systems sind. Ich gebe ein Positivbeispiel: Als ich eine große Plakataktion zum Thema FCKW, das die Ozonschicht zerstört hat, zusammen mit Greenpeace gemacht habe, wurde die Produktion des Stoffes nicht durch die Einsicht der Firmenchefs verhindert, und auch nicht durch die Einsicht der Mitarbeiter, sondern durch die Leute, die damals darauf aufmerksam wurden, dass ein Gift in die Umwelt gesprüht wird und es nicht mehr gekauft haben. Der Verbraucher hat letztlich eine ungeheure Macht. Aber es gibt leider auch die Erkenntnis: Je dümmer der Konsument, desto besser fürs Geschäft. Hier einen Stachel oder einen Stolperstein einzubauen, das kann Kunst auf eine andere Weise, als ein Politiker oder ein Prediger das kann. Kunst spricht doch eine eigene Sprache, sie kann die Leute noch überraschen. Sie schafft es, nicht immer, aber ich hoffe doch noch eine ganze Weile. Meine Methode müsste weiterentwickelt werden, das weiß ich. Meine Themen sind erschreckend aktuell und es bleibt dabei: Nichts ist erledigt.

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben.

Die Ausstellung „‚Nichts ist erledigt‘. Klaus Staeck: Frühe Plakate 1969-1989“ ist noch bis 11. April 2010 im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg zu sehen.
 Informationen über Klaus Staeck sind auf seiner Homepage zu finden.

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