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Superschweizer?

Wie keine anderen Schweizer Künstler sind Peter Fischli und David Weiss in der Schweiz bei einem breiten und sogar bei einem sonst eher kunstfernen Publikum bekannt und beliebt. Man schätzt ihren ironisch-hintergründigen, manchmal skurrilen Humor, ihren Schalk und ihre Freude am Experiment. An ihnen bleibt kaum Kritik haften, man muss sie einfach lieben, darüber herrscht gutschweizerischer Konsens. Gleichzeitig gelten im Ausland keine anderen Künstler als so typisch schweizerisch wie Fischli/Weiss. „Wenn man ein Projekt mit Schweizer Kunst ankündigt, dann sagen alle: ‚Da sind sicher Fischli und Weiss dabei‘“, wie Markus Brüderlin im Katalog der letzten großen Übersichtsausstellung über Schweizer Kunst im Jahr 2007 im Kunstmuseum Wolfsburg konstatiert.1  Und in den entsprechenden Katalogbeiträgen, Laudationes und Kritiken werden Fischli/Weiss dann auch meistens mit gutschweizerischen Attributen wie der „notorische(n) Ordnungssucht“,2 dem „Hang zur Selbstverkleinerung“ oder einem „Sinn für den einfachen Wahnsinn des Alltäglichen“3 in Verbindung gebracht. Wie sind Fischli/Weiss in diese führende Stellung der schweizerischen Kunstszene geraten? Warum haben gerade sie sich ins kollektive Gedächtnis der Schweizer Bevölkerung eingebrannt? Und worauf gründen diese Eigenheiten, für die sie und die Schweiz stehen?

Saus und Braus

Peter Fischli und David Weiss präsentierten die Wurstserie (1979), ihre erste gemeinsame Arbeit, erstmals im Juli und August 1980 in der Ausstellung Saus und Braus in der Städtischen Galerie Strauhof Zürich.4 Saus und Braus gilt als die Ausstellung zu den Zürcher Jugendunruhen. Entsprechend rahmten mehrere Punk-Konzerte die Ausstellung, und im Katalog, den die Künstler von Saus und Braus nur wenige Wochen vor Ausstellungseröffnung gemeinsam gestaltet hatten, sind die Verweise auf die politischen Geschehnisse jenes Sommers heute noch deutlich. Die Wurstserie erlaubt aber noch ganz andere Rückschlüsse. Denn interessanterweise sind alle im Ausstellungskatalog von Saus und Braus publizierten Bilder der Serie mit Titeln versehen ‒ Titel, die in späteren Ausstellungen und Katalogen kaum noch erscheinen oder gar verändert werden. Aufschlussreichstes Beispiel ist der Wurst-Teppichladen: Im Katalog zu Saus und Braus wird das Bild mit Im ANO-Teppichladen betitelt, in späteren Katalogen wird man nur noch den Titel Im Teppichladen finden.5 Der ANO-Teppichladen ist der Schauplatz von Eckhard Henscheids 1977 erschienenem Roman Geht in Ordnung - sowieso- genau—.6 Henscheid führt den Leser darin mit viel Sprach- und Nonsenskomik in die absurd überdrehte Welt einer Teppich-Verkaufshalle, die deren Betreiber Alfred Leobold und sein greiser Mitarbeiter Hans Duschke zu einer Kneipe umfunktionieren und darin rauschende Feste feiern. Aber auch andere Bilder der Wurstserie sind bemerkenswert: Pavesi, der Titel von Fischli/Weiss’ Zigarettenstummel-Autobahn dürfte von dem italienischen Kart-Fahrer Umberto Pavesi abgeleitet sein. Pavesi war 1975, als Peter Fischli in Italien studiert hat, italienischer Meister.7 Eindeutig ist indessen das Bild mit dem Titel Moonraker, der auf den gleichnamigen elften Film der James-Bond-Reihe von 1979 rekurriert.

Auch wenn nun die Cervelats der Wurstserie auf Schweizer Eigenarten anspielen, gibt es doch zahlreiche Titel der Bilder, die auf einen nicht-schweizerischen Kontext verweisen. Dies ist kaum außergewöhnlich, denn in den 1970er Jahren geht es in der Schweizer Kunst nicht mehr um eine Emanzipation des Schweizer-Seins, „vielmehr hat sich die Kunst soweit emanzipiert, dass der nationale Kontext keine Rolle mehr spielt.“8 Die erwähnten Bezüge gleichen sich aber auch insofern, als sie nicht so sehr in die Tiefe zielen, sondern eine einfache, humoristische Reflexion des Zeitgeistes bieten. Folglich lassen sich die Inszenierungen der Wurstserie durchaus auch als Satiren oder Parodien deuten. Wesentlicher ist hier jedoch die Tatsache, dass Fischli/Weiss in den frühen 1980er Jahren durchaus unbekümmert Bezüge zur herrschenden Populärkultur preisgeben. Mit dieser Faszination von der Alltagskultur stehen Fischli/Weiss keineswegs alleine da. „Banalität, Trivialität, banaltrivial: Künstler schrecken nicht mehr davor zurück, weil sie wissen, dass man gerade da hindurch muss, um zu einer eigenen Sprache zu finden, einer, die nicht den eingebürgerten Machtmechanismen gehorcht“, erläutert Kuratorin Bice Curiger im Katalog zu Saus und Braus.9 Entsprechend erklärt sich die Präsenz der populären Schweizer Kinderbuchfigur Globi an prominenter Stelle im selben Katalog:10 Globi hat wohl etliche Künstler und Künstlerinnen der damaligen Subkultur durch ihre Kindheit begleitet und sie dabei vielleicht mehr geprägt als das allgemeine Kunstgeschehen.

Globi ein altersloser Lausbub

Globi wurde 1932 von Ignatius Karl Schiele und seinem Zeichner Robert Lips als Reklamefigur und „Festonkel“ des Jugend-Meetings zum 25-jährigen Jubiläum des Zürcher Warenhauses Globus erfunden. Ein Kinderfreund „mit frohmütigem Herzen und goldlauterer Gesinnung“ sollte es sein, ein „Spaßmacher, der die Jugend liebt, sie versteht, ihre Wünsche und Hoffnungen kennt, ihre Sprache spricht – kurz: so ist wie die Kinder selbst.“11 Globi ist ein altersloser Lausbub, ein Frechdachs, der ständig neue Streiche ausheckt. Andererseits ist er aber auch brav und bieder, angepasst, obrigkeitsgläubig und hilfsbereit. Globi ist enorm erfinderisch, der geborene Bastler und Tüftler, doch ist er nicht selten auch begriffsstutzig, hilflos und denkfaul. Und bis heute ist er eine Frohnatur mit unverwüstlichem Optimismus geblieben, „ein schollenverbundener Stubenhocker, der weiß, dass es nirgends so gut und schön ist wie zu Hause im sauberen Schweizerland.“12 Seit 1935 erscheint jedes Jahr ein neues Globi-Buch – Millionen von Schweizer Kindern sind mittlerweile mit ihm aufgewachsen.

Die Sympathien der Saus und Braus-Künstler dürfte Globi vor allem der ihm eigene antiautoritäre Geist eingetragen haben, welcher sich insbesondere in den frühen Globi-Büchern in oft recht derben Streichen gegen den bösen Lehrer äußert.13 Allerdings stellt Globi mit seinen Streichen keine Gesellschaftsordnungen oder Hierarchien in Frage. Globis Episoden sind, so Waltraut Bellwald in ihrer Globi-Biographie, kleine Fluchten: „aufmüpfen, ‚Seich machen‘ und aufbegehren dort, wo es nicht wehtut, wo es nicht wirklich schadet.“14 Ganz ähnlich charakterisiert der Schriftsteller Peter Bichsel im Dezember 1980 die Zürcher Bewegung: „Die unruhigen Jugendlichen wie die in Zürich sind keine 68er. Das sind keine Politischen. Sie fordern – gemessen an konventionellen politischen Forderungen – nichts. Sie wollen sehen, was passiert, wenn man für einmal nichts fordert. Sie wollen nichts wissen von Ökonomie, sie wollen keine neue Wirtschaftsordnung.“15

Abb. 1 | Fischli/Weiss: „Der Lauf der Dinge“, Videostill, 2004

Wie Globi sind Fischli/Weiss bekannt für ihren Schalk, ihren hintergründigen Humor und ihre Faszination an Bastelei und Experimenten. Geradezu emblematisch dafür steht im Werk von Fischli/Weiss der Film Der Lauf der Dinge, der 1987 während der Documenta 8 in Kassel zum Publikumsliebling wurde und ihnen den internationalen Durchbruch verschaffte. Der Lauf der Dinge zeigt eine Art Rube-Goldberg-Maschine, bei der diverse Vorrichtungen Bewegungen, chemische Reaktionen oder Feuer erzeugen und damit eine Kettenreaktion vorantreiben. Bei Globi finden wir ähnliche Konstruktionen im 1977 erschienenen Band Globi der kühne Erfinder16 sowie im 1939 herausgekommenen Band Globi in der Verbannung.17 Kein Thema hingegen sind sowohl bei Globi als auch im Werk von Fischli/Weiss Religion oder Sexualität. Umso mehr scheinen sie beide für Heiterkeit und Zuversicht einzustehen. Alle sind sie aber auch Kosmopoliten mit einer starken Rückbindung an die Schweiz: So zieht es Globi bereits 1935 in seinem ersten Buch Globis Weltreise in die weite Welt hinaus.18 Und bei Fischli/Weiss zieht sich das Reisen und Unterwegssein als roter Faden durch ihr ganzes Werk: vom rastlosen Umherziehen von Ratte und Bär in Der geringste Widerstand (1980) und in Der rechte Weg (1983) bis hin zur fotografischen Weltreise in Sichtbare Welt (2000). Waltraut Bellwalds Charakterisierung von Globi als einen „Nomade(n), der die reale und die imaginäre Welt durchstreift“,19 dessen Lebensmitte sich aber in der Schweiz befindet, kann gut auch auf Fischli/Weiss übertragen werden.

Abb. 2 | „Globi der kühne Erfinder“, 1977

Formal verbindet das Werk von Fischli/Weiss mit den Globi-Geschichten das Vielteilige und Kleinformatige. Während Fischli/Weiss mehrheitlich mit kleinen Formen arbeiten – man denke zum Beispiel an die Tonskulpturen von Plötzlich diese Übersicht (1981) – sind die Globi-Geschichten in der Regel auf die Kürze von sechs gleich kleinen Bildern beschränkt. Und wie Fischli/Weiss ihre Arbeiten in abgeschlossenen Serien produzieren, die auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten aufweisen, so erscheint seit 1935 jedes Jahr ein neues Globi-Buch, dessen Abenteuer sich nie auf die vorherigen Bücher beziehen. Aber auch eine gewisse Einfachheit lässt sich in beiden Werken ausmachen. Robert Lips schuf mit Globi eine Figur, deren Mimik durch die Veränderung von ein paar wenigen Strichen alle emotionalen Höhen und Tiefen ausdrücken kann. Folglich ist Globi in seinen Geschichten immer nur im Profil oder maximal im Dreiviertelprofil dargestellt. Dem lässt sich im Werk von Fischli/Weiss die durchwegs konventionelle Wahl der Bildausschnitte in ihren Fotoarbeiten gegenüberstellen, zum Beispiel die nüchternen Totalen der Serien Airport (1989) oder Siedlungen, Agglomerationen (1993). Sie erinnern an Bilder aus Reise- oder Werbeprospekten, nichts Individuelles haftet ihnen an, weder Menschen noch bestimmte Ereignisse sind auf ihnen auszumachen. Dennoch faszinieren sie durch ihre psychologische Tiefe. Des Weiteren sucht man sowohl in den Globi-Büchern als auch im Werk von Fischli/Weiss den schweizerischen Dialekt vergebens, aber gelegentliche Helvetizismen finden sich hier wie dort.20

„Das kann ich auch!“

Besonders interessant ist nun aber ein vergleichender Blick auf Globis Kunstverständnis – denn Globi ist seit jeher ein aufmerksamer Ausstellungsbesucher und ein enthusiastischer Sonntagsmaler.21 Als ,Künstler‘ widmet er sich vornehmlich den Disziplinen Landschafts- und Portraitmalerei. Entsprechend wenig hält er hingegen von abstrakter und modernistischer Kunst – die in ihm höchstens Fieber und Kopfschmerzen auslösen. Natürlich ist in Globis Universum moderne Kunst genau so dargestellt, wie der kunstunkundige Durchschnitts-Schweizer sie sich landläufig vorstellet: abstrakte Malerei als ein unverständliches buntes Chaos an Linien und Klecksen, Skulpturen als arrogante, klotzig-kubistische Ungetüme. Bei aller Überzeichnung darf man hier aber nicht übersehen, dass Globi mit den Künstlern von Saus und Braus durchaus dasselbe Unbehagen gegenüber einer modernistischen und selbstreferentiellen Kunst teilt. Letztere verweigern sich in den frühen 1980er Jahren großen theoretischen Konzepten und wenden sich mit Witz und Ironie der Sinnlichkeit des Alltäglichen zu. Die Punk-Kultur dieser Zeit basiert auf einem respektlosen und trotzigen „Das kann ich auch!“ So schreibt Hanspeter Kriesi in seinem Buch über die Zürcher Bewegung: „Punk war eine kalkulierte Rebellion gegen die Kulturindustrie, eine neue Variante von ‚small is beautiful‘, eine Entmystifizierung des Produktionsprozesses selbst, die bei der rebellischen Jugend aller Schichten auf fruchtbaren Boden fiel.“22 Globi bedient sich dieser Strategie allerdings bereits 1964, im Band Globi, König der Spassmacher: In einer Ausstellung zieht er die Aufmerksamkeit und in der Folge sogar den Respekt der übrigen Besucher auf sich, indem er mit Augenkneifen und abenteuerlichen Verrenkungen versucht, ein abstraktes Gemälde zu deuten. Schließlich muss aber auch Globi kapitulieren. Dessen ungeachtet verlässt er die Galerie mit einem schelmischen „Das kann ich auch!“, um dann zu Hause, schlauer als jeder Künstler und Kritiker, mit Hilfe einiger Tiere sein eigenes „Action Painting“ zu erschaffen.23 Auch hier sind Fischli/Weiss wieder ganz nah, man kann sich gut vorstellen, dass die Wurstserie aus einer ähnlichen unkonventionellen Begeisterung entstanden ist. Explizit findet sich dieses „Das kann ich auch!“ aber natürlich im Film Der Geringste Widerstand, wenn Bär und Ratte auf der Autobahnbrücke den Entschluss fassen, „ganz groß“ in die Kunst einzusteigen. Sie konstatieren: „(W)ir verstehen zwar nichts davon, noch nicht – aber das wird sich schnell und gründlich ändern!“ und machen sich auf den Weg.24

Globi ist aber weder Punk noch Ratte noch Bär: „Bei Globi kommt Kunst von Können.“25 Für Globi soll ein Bild primär Abbild sein. Das wiederum trifft im Großen und Ganzen auch auf die Bilder von Fischli/Weiss zu, man denke an ihre visuellen Weltverzeichnisse von Plötzlich diese Übersicht (1981) bis Sichtbare Welt (2000), an die dokumentarischen Fotos von Stiller Nachmittag (1984) oder an die täuschend realistischen Polyurethan-Skulpturen Anfang der 1990er-Jahre. Und Fragen der Arbeitsethik spürten Fischli/Weiss in ihren Künstlerbüchern Ordnung und Reinlichkeit (1981) und Das Geheimnis der Arbeit (1990) nach. Mehr noch verbindet Globi mit Fischli/Weiss aber seine Vorliebe für alltägliche Sujets: Landschaften, Tiere oder auch nur ein Segelschiff auf dem See. Aus dem Œuvre von Fischli/Weiss lassen sich dem z.B. die Fotoserien Airports (1989), Sichtbare Welt (2000) oder das Video Büsi (2001) gegenüberstellen. Insofern kann die Aussage der britischen Künstlerin und Kuratorin Tacita Dean im Katalog zu Fragen & Blumen über Fischli/Weiss schreibt, durchaus auch für Globi stehen: „Nichts bereitet ihnen größere Freude, als das Majestätische klein und hässlich und das Alltägliche hehr und erhaben zu machen.“26

Abb. 3 | „Globis Weltreise“, 1935

Darüber hinaus findet sich sowohl bei Globi als auch im Werk von Fischli/Weiss immer wieder das Spiel mit Wirklichkeit und Fiktion, mit Täuschung und deren Wirkung. In den Globi-Geschichten ist die Verwechslung zwischen einer Abbildung und dem abgebildeten Gegenstand für zahlreiche Pointen verantwortlich – was natürlich nahe liegt bei Bildergeschichten, in denen Bildwirklichkeit und Realität ohnehin nicht voneinander zu unterscheiden sind. So malt Globi, irgendwo in der Wüste unterwegs, kurzerhand einen Weihnachtsbaum samt funkelnden Kugeln und Geschenken an eine Hauswand – und genießt das weihnachtliche Gefühl, das sich durch die Gegenwart des Baumes umgehend einstellt.27 Etwas ganz ähnliches passiert bei den geschnitzten Polyurethan-Objekten von Fischli/Weiss: Auch hier merkt der Betrachter erst auf den zweiten Blick, dass es sich nicht um ,echte‘ Dinge handelt. Und wie Globi von der Präsenz seines ,künstlichen‘ Weihnachtsbaumes verführt wird, löst die schiere Präsenz der an sich unbrauchbaren Polyurethan-Kopien bei ihrem Publikum eine ganze Flut von Assoziationen und Emotionen aus.

In den Globi-Geschichten wird die Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter immer wieder verhandelt, oft liebevoll und naiv, etwa wenn Globi in Globi erlebt Paris der Mona Lisa im Louvre Blumen bringt.28 Globi versteht es aber auch meisterhaft, die gesellschaftlichen Konventionen einer dekadenten Kunstwelt zu hintertreiben, wie das weiter oben angeführte Beispiel aus dem Band Globi, König der Spassmacher illustriert. Insofern thematisiert Globi recht genau das, was Ratte und Bär in Der geringste Widerstand als „schlechte Stimmung zwischen Maler und Betrachter“29 erkennen. Claudia Spinelli sieht in Globis Kunstbegriff „eine typisch schweizerische ‚Volksmoral‘, eine verinnerlichte Bescheidenheit, der jeder elitäre Anspruch, jedes künstlerische Ziel primär suspekt vorkommen muss.“30 Fischli/Weiss verlangen von ihrem Publikum ebenfalls keinerlei kunsthistorisches Vorwissen. Mit ihren alltäglichen Themen und ihrer parodistischen Herangehensweise schaffen sie einen niederschwelligen Zugang zu ihren Werken. Im Unterschied zu Globi führen sie ihre Betrachter dann natürlich subtil weiter zu noch abstrakteren Formen oder gar zu metaphysischen Fragen wie beim Fragentopf (1984). Gleichzeitig wird aber auch ihnen Bescheidenheit attestiert: „Fischli/Weiss streben nicht danach, die Ersten oder die Besten zu sein oder größtmögliche Aufmerksamkeit zu erregen.“31 Sollte es also diese „schweizerische Volksmoral“ sein, die Fischli/Weiss als Künstler so erfolgreich macht?

Abb. 4 | „Globi, König der Spassmacher“, 1964

„Warum sind plötzlich alle so nett?“32

Abschließend sei hier noch darauf hingewiesen, dass sich die Globi-Geschichten und das Werk von Fischli/Weiss in den letzten fünfundzwanzig Jahren in eine ganz ähnliche Richtung entwickelt haben. Waren in den Anfangsjahren Globis Scherze oft derb, unbesonnen und impulsiv, findet in den Globi-Büchern der 1980er-Jahre ein Wandel statt: Seine Späße werden politisch korrekt, Zigaretten und Prügelpädagogik verschwinden aus den Globi-Büchern und „pfiffige Abenteuer und witzige Heldentaten“33 lösen die früheren Lausbubenstreiche und Albernheiten ab. Vorbildhaft leistet Globi in seinen neueren Abenteuern Dienst bei zahlreichen schweizerischen Behörden und Institutionen wie der Polizei, der Schweizerischen Rettungsflugwacht oder der Post. Leider ist Globi bei dieser Entwicklung fast ein wenig ins Gegenteil gekippt und leidet seither etwas an Kleinkariertheit und Besserwisserei.

Erlahmung oder Besserwisserei kann man Fischli/Weiss natürlich nicht vorwerfen. Dennoch lässt sich auch im Werk von Fischli/Weiss eine Entwicklung in Richtung „political correctness“ nachvollziehen. Die expliziten Bezüge auf populäre Themen sind aus ihren Werken verschwunden, die Titel sind unverbindlich geworden – und Fischli/Weiss dienen ihrerseits als kulturelles Aushängeschild bei Präsenz Schweiz, dem Programm des Eidgenössischen Amtes für Auswärtige Angelegenheiten zur Vermarktung von „Swissness“ im Ausland.34 Zu guter Letzt ist mittlerweile auch Globi aus dem Referenzrahmen von Fischli/Weiss verschwunden. Entsprechend finden wir in ihrer großen Werkmonographie aus dem Jahre 2005 eine Passage aus Robert Walsers Spaziergang – und keine Globi-Geschichte mehr.35

  1. Abb. 1 | Der Lauf der Dinge (Videostill). Fischli, Peter/Weiss, David: Der Lauf der Dinge, DVD, Zürich 2004.
  2. Abb. 2 | Globi der kühne Erfinder, 1977. Büchi, Werner: Globi, der kühne Erfinder, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele, Zürich 1977. S. 89.
  3. Abb. 3 | Globis Weltreise, 1935. Lips, Robert: Globis Weltreise, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele, Zürich 1935. S. 57.
  4. Abb. 4 | Globi, König der Spassmacher, 1964. Lips, Robert: Globi, König der Spassmacher, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele, Zürich 1964. S. 91.
  1. Swiss Made: Präzision und Wahnsinn. Positionen der Schweizer Kunst von Hodler bis Hirschhorn. Ausstellungskatalog. Wolfsburg 2007, hrsg. v. Kunstmuseum Wolfsburg. Wolfsburg 2007, S. 27.
  2. Ebd., S. 50.
  3. Ebd., S. 27.
  4. Saus und Braus. Stadtkunst. Ausstellungskatalog. Zürich 1980, hrsg. v. Bice Curiger. Zürich 1980.
  5. Vgl. Fragen & Blumen. Eine Retrospektive. Ausstellungskatalog. Zürich 2007, hrsg. v. Kunsthaus Zürich. Zürich 2007, S. 158-159, 343.
  6. Vgl. Henscheid, Eckhard: Die Vollidioten; Geht in Ordnung - sowieso — genau —. Frankfurt am Main 2003.
  7. Vgl. URL: http://www.motoripavesi.it/english/company.htm (Stand: 05.04.2009)
  8. Omlin, Sybille: Kunst aus der Schweiz. Kunstschaffen und Kunstsystem im 19. und 20. Jahrhundert. Zürich 2002, S. 15.
  9. Saus und Braus 1980, S. 11.
  10. Zwei Frontispize und das Impressum sind mit Bildern von Globi illustriert, ferner sind im hinteren Teil des Kataloges vier ganze Globi-Geschichten abgedruckt. [10. Vgl. Saus und Braus 1980, S. 2, 3, 105, 110, 111, 119, 125.
  11. Zwanzig Jahre Globi. Globi-Illustrierte, Jubiläumsausgabe, hrsg. v. Globus AG. Zürich 1952, S. 2.
  12. Meier, Peter: „Globi der Superschweizer“. In: Tages-Anzeiger-Magazin. Gratisbeilage zu Tages-Anzeiger, 51/52 (1982), S. 14-21, hier S. 15.
  13. Schiele gesteht im persönlichen Gespräch mit Peter Meier, dass bei der Globi-Figur durchaus ein antiautoritärer Impetus intendiert ist: „Mit der Globi-Figur rächte sich der einst gedemütigte an seinen zu harten Erziehern.“ MEIER 1982, S. 16. Für Beispiele vgl. Lips, Robert: Die 100 lustigsten Globi-Streiche. Sammelband, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele. Zürich 1974, S. 16-17.
  14. Bellwald, Waltraut: Globi - ein Freund fürs Leben. Die Erfolgsgeschichte einer Reklamefigur. Zürich 2003, S. 20. Der schweizerdeutsche Begriff „Seich“ steht hier für „Unsinn“ oder „Streiche“.
  15. Eine Stadt in Bewegung. Materialien zu den Zürcher Unruhen, hrsg. v. Sozialdemokratische Partei der Stadt Zürich. Zürich 1980, S. 234.
  16. Vgl. Büchi, Werner: Globi, der kühne Erfinder, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele. Zürich 1977, S. 88-89.
  17. Vgl. Lips, Robert: Globi in der Verbannung, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele. Zürich 1939, S. 50-51.
  18. Vgl. Lips, Robert: Globis Weltreise, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele. Zürich 1935.
  19. BELLWALD 2003, S. 23.
  20. Bei Fischli/Weiss zum Beispiel das „Säuli“ in Der Rechte Weg, oder die Videoarbeit „Büsi“. In den Globi-Geschichten sind gelegentlich Ausrufe wie „Salü“ in Mundart jeweils direkt in die Zeichnungen geschrieben.
  21. Vgl. dazu auch Spinelli, Claudia: „Der Papagei als Kopist“. In: Globi und seine Zeit: Begegnung mit einem Schweizer Phänomen von 1932 bis heute, hrsg. v. Globi Verlag. Zürich 2003, S. 98-100.
  22. Kriesi, Hanspeter: Die Zürcher Bewegung. Bilder, Interaktionen, Zusammenhänge. Frankfurt am Main/New York 1984, S. 167.
  23. Lips, Robert: Globi, König der Spassmacher, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele. Zürich 1964, S. 88-93.
  24. Fischli, Peter/Weiss, David: Der geringste Widerstand. DVD. Zürich 2004, ca. 3. Min.
  25. SPINELLI 2003, S. 99.
  26. Fragen & Blumen 2007, S. 110.
  27. LIPS 1935, S. 56-57.
  28. Lips, Robert: Globi erlebt Paris, hrsg. v. Ignatius Karl Schiele. Zürich 1946, S. 24-25.
  29. Fischli/Weiss 2004, DVD, ca. 3. Min.
  30. SPINELLI 2003, S. 100.
  31. Fragen & Blumen 2007, S. 97.
  32. Fischli, Peter/Weiss, David: Findet mich das Glück? Köln 2003, n.p.
  33. Globi und seine Zeit 2003, S. 53.
  34. Vgl. URL: http://www.story.presence.ch/de/Home/ShowStory/27 (Stand 05.04.2009)
  35. Vgl. Fleck, Robert et. al.: Peter Fischli, David Weiss. London 2005.

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