Kritik
Schreibe einen Kommentar

Wolkenkitsch und Knöllchen. Die „Globale“ im ZKM Karlsruhe

2015_globale_cloudscapes_0023

Die Anspielung ist sofort klar. Spätestens, wenn die Besucher ihre Smartphones zur Hand nehmen, um ein Foto zu machen. Das Bild hat man schon irgendwo gesehen. Der japanische Architekt Tetsuo Kondo hat zwei Lichthöfe im Zentrum für Kunst und Medientechnologie mit Nebel gefüllt, und das Ergebnis erinnert an Caspar David Friedrichs Der Wanderer über dem Wolkenmeer. Genauso klar ist auch, dass die Anspielung aufs Kantische Erhabene längst ein Klischee geworden ist.

Die Globale hieße aber nicht so, wenn hier kein totales Kunsterlebnis am eigenen Körper erfahrbar wäre. Und so kann man bei 40 Grad in der Halle schwitzend durch eine Wolke aus Trockeneisnebel eine Holzrampe hochsteigen, um schließlich von oben drauf zuschauen, genau wie Friedrichs Wanderer im Gebirge: als Mensch, überwältigt vom Naturschauspiel, das die künstlerische Form sprengt. Nur findet man das Erhabene viel öfter im Museum.

Unter und über den Wolken. (am)

Die Wolke wird von unterschiedlich temperierten Luftschichten in ihrer Position gehalten. Unten ist die Luft kühler, oben ist sie warm, und dazwischen schwebt die Wolke. Nett also, das Sublime in den beiden leergeräumten Ausstellungshallen des ZKM selbst zu erfahren. Aber bei der Globale geht es eben um alles, in diesem Fall: das Weltklima.

Dass diese etwas didaktisch geratene Arbeit über Wolken zugleich die Generalmetapher unserer heutigen Arbeits- und Lebenswelt bedient, ist ein glücklicher Zufall. Die cloud ist die Visualisierung der anonymen Datenmengen, mit denen wir jeden Tag arbeiten, der Ort, wo wir unsere Musik oder unsere Fotos speichern. Also einfach, sichtbar, flexibel und irgendwie zur Hälfte transzendent. Dass Tetsuo Kondos Arbeit so ähnlich funktioniert, suggerieren die Begleittexte. Das Unbegreifliche — weil zu groß, zu komplex, zu wissenschaftlich — wird zu einer flauschigen, weißen, freundlichen Wolke, die uns helfen soll, das Weltklima zu verstehen. (ph)

Kunst am Bau

Und wenn man schon einmal in der Stadt ist, kann man sich  auch gleich noch die Ausstellung mit dem Titel Die Stadt ist der Star ansehen. Man steige vor dem ZKM in eine Straßenbahn und lasse sich bis zum Marktplatz fahren. Dort sieht man gleich beim Aussteigen passend zum Untertitel der Schau Kunst an der Baustelle ein Haus an einem Baukran über einer Baustelle schweben. Das hängende Haus dreht sich permanent im Kreis und wird dabei von Schaulustigen ebenso penetrant fotografiert. (Wir haben natürlich auch ein Erinnerungsfoto gemacht.)

Voilà, unser Erinnerungsfoto von Leandro Erlichs Großinstallation „Pulled by the roots“. (am)

Bei der Großinstallation handelt es sich um ein Werk des argentinischen Künstlers Leandro Erlich. Sein Haus hat er historischen Gebäuden des Architekten Friedrich Weinbrenner nachempfunden, damit sich das hängende Haus nahtlos in das Stadtbild einfügt. Es soll der Eindruck entstehen, als wäre das Haus tatsächlich gerade entwurzelt worden. Deshalb auch der sprechende Titel Pulled by the roots und die Wurzeln, die sich an der Unterseite des Hauses befinden. Ein bisschen zu plakativ, möchte man einwerfen. Wenn man aber die aktuelle Nachrichtenlage vor Augen hat, wird schnell klar, dass das Thema Entwurzelung gar nicht offensiv genug umgesetzt werden kann. Bei dem Werk soll es sich laut Faltblatt um das „zentrale Kunstwerk“ der Ausstellung handeln.

Aber noch während man hoch hinauf zum hängenden Haus mit dem Smartphone in der Hand blickt, laufen und fahren Einheimische an einem vorbei und rufen: „Habt ihr schon das Auto gesehen?“ - „Nein, noch nicht“, antworte ich und schiebe die Frage hinterher: „Wo ist es denn?“ - „Gleich hier.“ Ein Mann steigt von seinem Rad, um mir per Handzeichen mitteilen zu können, dass ich nur um die nächste Ecke gehen müsse. Der heimliche Star sowohl der Stadt als auch der Ausstellung ist nämlich Erwin Wurm mit seinem „Truck“. Oder vielmehr der renitente Ordnungshüter, der dem Falschparker ein Knöllchen verpasste und, schwupps, weltweilt in den Schlagzeilen landete.

Der heimliche Star der Stadt: Erwin Wurms „Truck“. (am)

Inzwischen trägt der am Weinbrennerhaus geparkte Truck das Nummernschild WU RM 2011. Damit keine Missverständisse mehr aufkommen. Eigentlich, das sagte Ordnungshüter Roland später in einem Interview, war sein Knöllchen als kleine humoristische Aktion gedacht, als Schmunzeleinlage. Schon nach zwei Stunden hatte er das Knöllchen wieder vom verbogenen Transporter entfernt. Schließlich habe es sich um eine „befristete Aktion“ gehandelt. Zum 300. Stadtgeburtstag wollte er den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Die Stadt selbst will ihren Einwohnern mit der Ausstellung ebenfalls ein Geschenk machen. Und da in Karlsruhe momentan vor lauter Baustellen die Stadt nicht mehr zu sehen ist, versucht man sich mit Hilfe einiger renommierter Künstler an einer Schönheitsoperation. Nicht alle Werke sind wie die beiden Installationen von Wurm und Erlich immer an ihrem Platz. Einigen Performances muss man in der Stadt begegnen, andere finden nur an bestimmten Terminen statt. Hierzu ist dem Faltblatt zu entnehmen, dass all diese Performances, Großskulpturen und Interventionen „einmalige Selfie-Motive“ bieten.

Ein Käfer kommt selten allein. Das „Car Building“ von Hans Hollein. Foto: André Krüger (@bosch)

Karlsruhe will offenbar tatsächlich mit aller Gewalt zum Star werden. Instagrammige Motive bietet die Ausstellung zur Genüge, man denke nur an das „Car Building“ von Hans Hollein, das aus einigen schön bunten Käfern besteht. Die schönen Käfer sind, als wären sie gerade Opfer eines unschönen Autounfalls geworden, übereinander gestapelt und schreien geradezu nach einem #asundaycarpic oder einem #artselfie. Und wenn Karlsruhe viel, sehr viel Glück hat, landet Die Stadt ist der Star vielleicht irgendwann auf einer Liste mit den 100 am meisten geinstagrammten Ausstellungen. Wir drücken derweil kräftig die Daumen. (am)

 

Die Ausstellung Cloudscapes ist noch bis 15. September im ZKM Karlsruhe zu sehen. Und die Ausstellung Die Stadt ist der Star noch bis 17. April 2016. Das Hashtag lautet #zkmglobale.

Text: Philipp Hindahl (ph) & Anika Meier (am)
Titelbild: Transsolar + Tetsuo Kondo. Cloudscapes 2015, Foto: Harald Völkl / © ZKM | Karlsruhe.
Alle anderen Fotos: Anika Meier & André Krüger.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *