Kritik
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Vom Spaß zum Stahlbad. Doug Aitkens „Station to Station“

Sänger Ariel Pink bei der Arbeit, © by Anders Jensen-Urstad

Die Merry Pranksters waren Mitte der 1960er eine Art psychedelischer Wanderzirkus. Mit einem bunt bemalten Bus wurden die Blumenkinder durch die USA gefahren. Jack Kerouacs alter Freund Neal Cassidy, voll mit Amphetaminen, fuhr den Bus. Der Road Trip hat in den USA eine lange Tradition: Die Drogenfreaks der 1960er fahren dem bürgerlichen Leben davon, privilegierte weiße Mittelstandskinder suchen dabei ihr Ferienvergnügen.

Über Doug Aitkens Happening Station to Station schrieb die amerikanische Wired, es sei auch eine “vision quest”, die Suche nach Visionen. Der Künstler lässt einen Zug quer durch die USA fahren. 24 Tage lang, mit zehn Stops und neun Waggons, im attraktiven Siebziger-Look mit Panoramafenstern. In den Zug packt Aitken einige Kreative, die entweder bei einem der Stops zwischen New York und San Francisco oder gleich im Bahnwaggon etwas aufführen. Daraus sind 62 einminütige Clips geworden. Da spielt zum Beispiel der immer noch nicht ergraute Thurston Moore den Teenage Angst-Kracher “Schizophrenia.” Olafur Eliasson hat eine kybernetische Zeichenmaschine gebaut, die das Rattern des Zugs in eine zittrige Linie verwandelt. Der Italo-Disco Innovator Giorgio Moroder findet im Klang der Schienen den archetypischen Discobeat.

Unterwegs lässt sich noch Ed Ruscha befragen. Urs Fischer darf sich eine eigene Jurte bauen. Eine Marching Band und ein Chor aus Städten entlang der Wegstrecke treten bei den Happenings auf. Nicht jeder darf mitfahren, aber alle haben ihre Projekte. Dieser Zug soll Kreative anziehen, bekannt oder unbekannt, und alle leisten ihre Beiträge unentgeltlich. Der Film ist “a fast moving road trip through modern creativity”, sagt der Künstler. Ob es also um Visionen oder um moderne Kreativität geht, tut wenig zur Sache, denn irgendwie kommt einem der Film bekannt vor, und das liegt nicht an den Merry Pranksters. Das liegt auch nicht an der cleanen Optik, den schnellen Schnitten oder den sublimen Landschaftsaufnahmen, oder daran, dass man eine ziemlich lange Liste mit Filmen über Züge machen könnte. Das liegt daran, dass Station to Station ein Film über Arbeit ist.

Die Reisenden fahren mit, um zu arbeiten, um sich bei der Arbeit filmen zu lassen. Das ist längst nicht mehr nur ein Privileg von Künstlern, die ohnehin irgendwie außerhalb der bürgerlichen Welt stehen, sondern die Anforderung an fast alle, die schreiben, bloggen oder fotografieren, ans Fernbus Jet-Set und an alle unentgeltlichen Praktikanten. Der Film zeigt vorbildhaft, wie man Spaß bei der Arbeit haben soll, und fun ist bekanntermaßen ein Stahlbad.

Der Film zeigt aber auch die, deren Arbeit nicht so recht in diesen Rhythmus passt. Zum Beispiel der Musiker Ariel Pink, der lieber von seinem Freund Nostradamus erzählt, mit dem er im Wald wohnt.  Oder wenn der Fotograf William Egglestone erzählt, wie er in den 1960ern Fotos geschossen hat, oder wenn der Architekt Paolo Soleri (der übrigens kurz nach den Aufnahmen verstorben ist) von utopischer Architektur spricht, merkt man: Diese Geschichten lassen sich nicht auf eine Minute eindampfen.

Das Titelbild zeigt den Sänger Ariel Pink bei der Arbeit, © Anders Jensen-Urstad.

Der Film Station to Station hatte am vergangenen Sonntag in Frankfurt Deutschlandpremiere. Außerdem zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt bis 27. September eine Werkschau zu Doug Aitken.

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