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Wandelbare Kunsträume

Mit der schönen Alliteration „Kulturstadt Karlsruhe“ wirbt die badische Barockstadt auf ihrer Homepage für ihr vielfältiges Kunst- und Kulturangebot. Es reicht vom Badischen Landesmuseum über die Staatliche Kunsthalle bis zur Städtischen Galerie im Zentrum für Kunst und Medientechnologie. Die vier Karlsruher Galerien tauchen in dieser Auflistung nicht auf. Sie schaffen Freiräume für noch nicht etablierte Kunst – unkonventionell und vielseitig und tragen so einen Beitrag zur Belebung der regionalen Kunstszene. Das herkömmliche Verständnis von einer Galerie als Ausstellungs- und Verkaufsraum rückt bei den mit viel Pioniergeist ausgestatten Junggaleristen in den Hintergrund. Der Raum ordnet sich der Kunst unter.

Vom Atelier zum White Cube - Galerie V 8

Er wird zur Plattform, zum wandelbaren Kunstträger, wie in der Galerie V8 – Plattform für neue Kunst, die sich seit ihrer Gründung 2005 in regelmäßigen Abständen vom bunten Gemeinschaftsatelier zum White Cube verwandelt. V 8 steht für „Viktoria 8“ und verweist auf den Standort der Galerie in der Viktoriastraße in Karlsruhe in nächster Nähe zur Galerie Poly. So entsteht bereits durch die Wahl der Örtlichkeiten ein Kunstnetzwerk auf der Mikroebene. Den Galeriebetrieb umschreibt Ateliermitglied Marcel Frey als „relativ offenes, lockeres Ausstellungsprogramm mit spontanem Charakter.“ Als Hauptaufgabe der Plattform sieht Frey „das Bereitstellen der Räume und das Schaffen einer Öffentlichkeit“, weil diese beiden Faktoren die größten Hürden beim Eintritt in den Kunstbetrieb darstellten, wie Frey aus eigener Erfahrung zu berichten weiß. Wie alle Mitglieder der Plattform ist er Absolvent der Karlsruher Kunstakademie. Manchmal wird der Innenraum aber auch ganz verlassen, um die Kunst direkt in den öffentlichen Raum zu transferieren. So wie bei der Teilnahme am Projekt „Ausserhalb“ des Kunstbüros Baden-Württemberg, bei der die V 8 mit dem Künstler Ralf Witthaus zu Gast bei Plan B in Freiburg war. Entstanden ist dabei eine Rasenmäherzeichnung am Aussichtspunkt Herz-Jesu.

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Die Rasenmäherzeichnung von Ralf Witthaus vor der Herz-Jesu Kirche in Freiburg: die strahlenförmigen Linien zeichnen die vorgegebene Landschaftsarchitektur nach und lenken die Blicke des Betrachters auf einzelne Elemente der Gesamtarchitektur.

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Ausstellung von Simone Häfele mit dem Titel „lonesome cowboy“ im white cube: expressive Kunst zwischen Comic und Pop Art.

Raumkunst im Projektraum – die Galerie WEINGRÜLL

Ein von außen unscheinbarer Backsteinbau in der Nowackanlage dient dem Galeristen Florian Weingrüll, der sich bereits während des Kunststudiums in Tübingen mit dem Projektraum ‚John Doe Projects‘ selbständig machte, als Ausstellungsraum. Vor der Neueröffnung im September 2010 hatte er in der Viktoriastraße, die sich als Zentrum der jungen Karlsruher Kunstszene herauskristallisiert, bereits reichlich Galerieerfahrungen und künstlerische Kontakte gesammelt. „Das Konzept und der Künstler muss stimmen“, verrät Florian sein Erfolgsrezept. Durch seine Teilnahme an der Nada Art Fair in Miami ist er auch international bereits gut vernetzt. „Der Schritt nach Amerika war einfacher als die Etablierung am lokalen Markt“, zeigt er sich vom amerikanischen Gründergeist begeistert. Aber auch der Karlsruher Raum biete mit der bereits vorhandenen kulturellen Infrastruktur optimale Voraussetzungen für die Galeristentätigkeit.  „Wenn man die Augen offen hält, entdeckt man immer wieder interessante Künstler und Projekte.“ Aktuell hat er seine Räumlichkeiten, die nun deutlich mehr Platz und Spielraum bieten, dem Schweizer Konzept-, Video- und Installationskünstler Eric Hattan zur künstlerischen Verfügung überlassen. In seiner Ausstellung „Handarbeit“ die noch bis 21. April zu sehen ist, wird der Raum selbst zum Kunstwerk. Er bildet das Ausgangsmaterial, das durch Umgruppierung, Ausgestaltung und Modellierungen eine neue Wahrnehmung des Ursprungsortes hervorruft.

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„Verdunkelungsmaßnahmen“ des Schweizer Künstlers Eric Hattan in der Galerie Weingrüll. Der Raum wird lediglich durch die Videos und Neonröhren innerhalb der Installation beleuchtet.

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“Galerieportrait“ der besonderen Art: Als Material für die assemblageartige Installation nutzte Hattan Gegenstände und Mobiliar aus dem Lagerinhalt der Galerie. Die Alltagsutensilien des Galeristen werden zum Objet trouvé des Künstlers.

Von der Schweiz nach Karlsruhe – Ferenbalm-Gurbrü Station

Die beiden Brüder Lukas und Sebastian Baden, beide Absolventen der Karlsruher Kunstakademie, präsentieren ihre Galerie Ferenbalm-Gurbrü Station momentan raum- aber nicht kunstlos, nachdem sie ihren alten Standort im Passagehof aufgrund baulicher Maßnahmen verlassen mussten. Namensgeber ist ein Bahnhaltepunkt in der Schweizer Peripherie zwischen Basel und Neuchâtel. So spontan der Schweizer Zug an jener Bahnstation nur auf Verlangen hält, so individuell-originell das inhaltliche Auftreten der Galerie. Die Idee zur Gründung einer Galerie entwickelten die beiden während eines Auslandaufenthaltes. Lukas studierte Germanistik in den USA und Sebastian Islam- und Kunstwissenschaften in Basel. „Durch die Entfernung von der Produktion haben wir eher die Rezeptionshaltung eingenommen und gemerkt, dass es uns besser gefällt, den Kunsbetrieb von außen zu gestalten, als selbst im Atelier zu stehen“, erklärt Lukas die Beweggründe. Zu Beginn ihrer Arbeit organisierten sie Ausstellungen für Kommilitonen im Kunstraum LUV. Mittlerweile setzen sie auf freie Kooperationen mit Künstlern und Galerien, das sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Bei der Lyon Biennale 2011 kuratierten sie auf Einladung des Goethe Instituts beispielsweise eine Werkauswahl des Künstlers Jürgen Palmtag, den sie zuvor bereits in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen bekannt gemacht hatten. Zuletzt gab es in Zusammenarbeit mit der Galerie Martin Mertens, in dem von dieser neu eingerichteten Galerieraum MM Projects in der Karlruher Innenstadt, Arbeiten von dem Künstler Christian Ertel zu sehen. Dessen Installationen erobern den Raum und verändern sein Erscheinungsbild grundlegend. Außerdem betreiben sie einen Blog im Online-Kunstmagazin „art„, wo sie regelmäßig über die eigenen Projekte berichten.

In Kürze kuratieren die beiden unter dem dem Akronym FGS exibitions zwei neue Ausstellungen: Ab dem 29. März „Material Girls“ mit den Künstleinnen Angelika Arendt, Franziska Degendorfer und Schirin Kretschmann im Karlsruher Institut für Technologie (KIT Campus Nord), und ab dem 4. Mai  „A los que les gustan las flores“ mit dem deutschen Pop-Art Künstler Christof Kohlhofer und den mexikanischen Künstlern Agustin Gonzalez und Ulises Figueroa in den Büroräumen der Firma „seven2one“.

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„Whiteout“ lautet der Titel der Installation des Karlsruher Künstlers Christian Ertel. In der Meteorologie bezeichnet Whiteout ein polares Lichtphänomen, das durch das Zusammenspiel von schneebedecktem Boden und gedämpftem Sonnenlicht zu Stande kommt.

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Ein Gefühl der Desorientierung beschleicht den Betrachter. Die räumliche Wahrnehmung wird unscharf, die sinnliche Beobachtung geschärft: Wo endet die Wand? Wo beginnt die Decke? Was ist Illusion? Was Realität?

Deutsch-französische Partnerschaft – „Poly meets Pumphaus“

Die Produzentengalerie Poly e.V., ein offenes Kulturforum mit etwa 30 aktiven Mitgliedern, die neben monatlichen Ausstellungen auch Lesungen, Filmabende oder Konzerte organisieren, geht noch einen Schritt weiter. Mit ihrem neuen Projekt „Poly meets Pumphaus – Peer to Peer“ verlagern sie den Ausstellungsbetrieb von der Viktoriastraße, wo ihre Galerie 2001 mit der namensgebenden Mitgliederausstellung „polymorph“ startete, nach Lauterborg, einem kleinen französischen Städtchen unweit der Grenze. Direkt an der Bahnstrecke und inmitten idyllischer Natur gelegen bildet das Pumphaus, ehemals zum Befüllen der Wassertanks der vorbeikommenden Dampfloks erbaut, einen ganz besonderen Ausstellungsort. „Das Pumphaus ist ein grenzüberwindender Raum der Kultur, der bildende Künstler, Musiker und darstellende Kulturschaffende aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern zusammenbringt. Dieser Raum lebt tatsächlich über die Grenzen hinaus, denn es besteht neben der Ausstellungstätigkeit durch die räumliche Situation mit ca. 170m² Raumfläche sowie sanitären Einrichtungen und Küche außerdem die Möglichkeit, dass der Künstler dort nicht nur ausstellt, sondern den Raum auch bewohnt. Das erleichtert die künstlerische Bezugnahme“, zeigt sich Bettina Amann als Initiatorin des Projekts begeistert. Poly zeigt ab Mai zunächst Werke des verstorbenen Künstlers Christoph de Temple, der mehrere Jahre im Pumphaus lebte und arbeitete. Anschließend soll die Partnerschaft mit weiteren Ausstellungen fortgeführt werden und die Räumlichkeiten auch zur Präsentation von Künstlern der Poly genutzt werden.

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Wohn-, Arbeits-, und Ausstellungsraum in einem: Christoph de Temple in den Räumen des Pumphaus vor einigen seiner großflächigen Ölgemälden.

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Das Pumphaus von außen: hier findet überregionale Kunst- und Kulturförderung statt.

 

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