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Stereotype, Hipster und Folklore

Während wenige Meter entfernt in den Kunstwerken der Eröffnungsrummel der Biennale den Blick der Angereisten und der Berliner Kunstszene gen Osten richtet, zeigt die Ausstellung „Blitz Visit“ scheinwerferartig aktuelle Positionen zeitgenössischer ungarischer Kunst. Für eine wortwörtliche Blitzvisite von vier Tagen bringt der Kulturverein Igor Metropol eine Auswahl ungarischer Künstler in die Hauptstadt, beziehungsweise zeigt Eindrücke des deutschen Foto-Künstlers Oliver Schmidt, der mit neugierigem Blick und Gespür für Textur und Details verwinkelte Ecken und Architektur-Zeugen aus Ungarns Spätmoderne eingefangen hat. Neben Photographien (Oliver Schmidt, Gabor Buda, Peter Puklus, Dora Csala) zeigt die Galerie eine Videoarbeit Barbara Follards und Installationen/Object Art von Dora Palatinus und Andras Kiraly. Auf ungezwungene Weise verarbeiten die Werke Stereotypen der Wahrnehmung Ungarns und beleuchten eine Auseinandersetzung mit der aktuellen politischen Situation im Land.

Unbeschwerte und ambivalente Perspektiven in der ungarische Kunstszene: András Király, Painted Sheep, 2010.

Europäische Hipster-Gemeinschaft und folkloristische Assoziationen

So reagieren unter anderem Kiralys skulpturale Objekte in direkter und meist ironischer Bezugnahme auf ungarische Nationalsymbole, zum Beispiel ein schwarzlackiertes Schaffell oder ein zu Boden gefallener „Turul“ (Greifvogel). In seiner Abstraktion greift das letztgenannte Motiv die stilisierte Darstellung verschiedener Wappenvögeln auf, und zugleich erinnert seine Form schemenhaft an ein Hakenkreuz, was als eine kritische Anspielung auf den Einfluss rechter Gruppen in Ungarns Politik seit 2006 zu lesen ist. In seinen Zeichnungen, die unter anderem einen Panzer oder eine Gruppe junger Männer in Uniformen zeigen und nach Foto- oder Zeitungsvorlagen entstanden sind, adressiert Kiraly Erinnerungen einer Generation, als alle jungen Männer Ungarns der allgemeinen Wehrpflicht unterstanden. In ihrer formalen Darstellung erinnern die Arbeiten an das Werk Gerhard Richters und auch hier thematisiert die Verwisch-Ästhetik des Künstlers Strategien des Verschleierns – sowohl persönlicher Erinnerung als auch allgemeiner Geschichte. Durch Humor (die Kameraden in der Foto-Vorlage zeigen einander „Eselsohren“ an) hebt Kiraly das historische Gewicht der Referenzen - sowohl kunsthistorisch als auch im Weltgeschehen – weitestgehend auf, was auch in anderen Arbeiten vorzufinden ist, z.B. einen in ein Holzbrett eingebrannten „ungarischen“ Schnurrbart. Damit verweist der Künstler auf ein Motiv, das an der Schnittstelle folkloristischer Assoziationen zu Ungarn steht und zugleich als Teil einer zeitgenössischen europa-/weltweiten Hipster-Gemeinschaft verbreitet ist. Dora Palatinus greift ebenfalls auf Zeitungsmotive zum aktuellem (politischen) Geschehen zurück und übersetzt diese in Form kleinformatiger, in Schneekugeln platzierter Kunststoff-Szenen.

Im Kontrast zu Palatinus und Kiraly lehnt die in Berlin lebende Künstlerin Dora Csala politische oder zu ernste Themen ab. Obwohl der Titel ihrer Fotoserie ironisch „Sorry but you can’t take this seriously enough“ proklamiert, dokumentiert sie bewusst anekdotische und witzige Szenen des Alltags in ihrem neuen Aufenthaltsort. Auch Daniel Horvaths kleinformatige Aquarelle entstanden mehr oder weniger im Zuge künstlerischen Nomadentums und in Distanz zur ungarischen Heimat. Die Darstellungen lassen eine gewisse Nostalgie an vergangene Kindheitstage erkennen, als es im ungarischen TV besonders populär war, heimatliche Folklore und Geschichte in Kinderfilmen nachzuerzählen. Horvaths Arbeiten erinnern an die Ästhetik dieser Filme, welche sich stark an Märchenbücher und historische Kodexbücher anlehnten, die als Orte geschriebener Geschichte inszeniert wurden. Die hier gezeigte Serie entstand während eines Künstleraustauschs in Nürnberg, wo sich Horvath verstärkt mit seinen Wurzeln auseinandersetzte und aktuelles Zeitgeschehen mit der Ästhetik solch historischer Lehrbücher verbindet.

Mensch und Raum, Körper und Wahrnehmung

Demgegenüber lässt das Werk von Peter Puklus, Gabor Buda und Barbara Follard weniger direkte Bezüge zu Ungarn erkennen und beschäftigt sich stattdessen mit formalen und konzeptuellen Interesse mit Menschen und deren Verhältnis zur Umwelt und Wahrnehmung. Budas Fotografie erforscht mit fast naturwissenschaftlichem Interesse Details des menschlichen Körpers und zwischenmenschlicher Beziehungen und setzt diese auf ästhetisierende Weise um, indem er u. a. die Schattierungen eines Hämatoms als abstraktes Farbspiel inszeniert. Auch Follards Videostudie spricht das Verhältnis von Mensch und Raum an, indem sie körperlicher Bewegung als Übersetzung japanischer Haikus präsentiert. Puklus Aufnahmen von Konstruktionen verschiedener Gegenstände und Materialien erinnern an Fotografie-Experimenten der klassischen Avantgarde, deren Hauptinteresse es scheint, Strukturen, Kompositionen und Kontraste formal zu (er)fassen und diese im Bilde festzuhalten.

Ein Hämatom als abstraktes Farbspiel: Gábor Buda, no title (purple), 2011.

In der offenen Gegenüberstellung solch unterschiedlicher Perspektiven gelingt es Katja Melzer und Nóra Lukács, den Initiatorinnen und Kuratorinnen von Igor Metropol, im Zuge des aktuellen Ostblick-Trends des Berliner Kunstfrühlings eine auf den ersten Blick unbeschwerte und doch ambivalente Perspektive zu zeigen. Igor Metropol ist eine gemeinnützige Organisation von Vertretern verschiedener kreativer Bereiche, deren Ziel es ist, die Sichtbarkeit zeitgenössischer ungarischer Kultur im Ausland zu fördern und den internationalen Austausch zwischen Ungarn und den anderen europäischen Ländern zu stärken. Dies geschieht konkret durch die Organisation von Gemeinschaftsausstellungen internationaler Künstler und durch die Initiierung von Begegnungsmöglichkeiten für Künstler und Kulturakteure aus der Region. Die Ausstellung verdeutlicht, dass junge ungarische Künstler in der Wahl ihrer Sujets nicht nur erfrischend selbstreflexiv mit ihrer Stellung in südosteuropäischer Umgebung und mit Situationen internationalen Kulturkontakts umgehen, sondern gleichzeitig auf dem besten Weg sind, ihre Stellung auch im weiteren Kunstkontext zu definieren. Diesen vielversprechenden Eindruck verheißt selbst eine kurze Blitzvisite.

Die Ausstellung „Blitz Visit“ war vom 26. bis 30. April in der Galerie Sur la Montagne in Berlin zu sehen.

1 Kommentare

  1. Kunst darf und muss alles, nicht nur meiner Meinung nach.
    Irgendwie sind Hipster auch moderne Kleinkunstwerke.
    Schade, dass ich die Ausstellung verpasst habe!
    Grüße

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