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Skandal in einer Gedenkstätte: Was darf Kunst?

Im Berliner Martin-Gropius Bau fehlt ein Werk. Warum? Der Direktor hat entschieden, es aus der Ausstellung „Tür an Tür: Polen - Deutschland“ zu nehmen. Der Grund: Es ist verstörend. Müssen Museumsbesucher vor ihrem Urteil beschützt werden?

Nackt betreten acht Personen einen verlassenen Kellerraum. Die Decke ist niedrig, die Wände sind karg. Die Frauen und Männer frieren. Sie schütteln sich und reiben ihre Hände. Dann beginnt das Spiel: Sie jagen einander, der eine fängt den anderen. Sie kichern, juchzen und schreien. Plötzlich wechselt der Raum - wieder ein klaustrophobischer Keller. Die Wände sind verfärbt. Das Spiel geht weiter. Sie werden von einer wackeligen Kamera durch die Gaskammer verfolgt. „Berek“ (Fangen, 1999) heißt dieses Video des polnischen Künstlers Artur Żmijewski, das in Berlin für Aufruhr sorgt.

Das Fangenspiel in einer einstigen Gaskammer: vordergründige Provokation oder politische Stellungnahme?

Am 28. Oktober 2011 ließ Gereon Sievernich, Direktor des Martin-Gropius-Baus, die Arbeit aus der Ausstellung „Tür an Tür: Polen – Deutschland“ entfernen. Auslöser war ein persönlicher Brief Hermann Simons, Direktor des Centrum Judaicum, der sich nach einem privaten Besuch an das Haus richtete. „Ich bin nicht der, der über Kunst zu urteilen hat, als Zuschauer empfinde ich einen derartigen Film in Deutschland, dem ‚Land der Vergasungseinrichtungen‘, als abstoßend“, sagt er der Jüdischen Allgemeinen. Daraufhin traf Sievernich in Absprache mit den Partnern des Königsschlosses Warschau seine Entscheidung und nahm das Werk kurzerhand aus der Ausstellung. Der Künstler und die Kuratorin, Anda Rottenberg, blieben über den Vorfall uninformiert. „Die Ausstellung hat ein Ziel, nämlich die deutsch-polnische Verständigung zu fördern“ und beabsichtigt nicht „jüdische Bürger in ihren Gefühlen zu verletzen“, so Sievernichs Argumentation im Deutschlandradio. Simon antwortet „Ich bin nicht der Mann, der zur Zensur aufruft.“

„Die Rechte der Kunst“

Anda Rottenberg (*1944), Gastkuratorin der Ausstellung und renommierte polnische Kunsthistorikerin, ist entsetzt. Das Video ist Teil der Dauerausstellung der Warschauer Zacheta Galerie für zeitgenössische Kunst und lief bereits auf der documenta12. Nie hat es ein Verbot gegeben. Laut Rottenberg ist das Video relevant, da es den Umgang mit der geteilten Geschichte thematisiert. Es hat „die Absicht, eine psychotherapeutische Erinnerung an die traumatischen Erlebnisse zu bewirken, um das Geschehen zu überwinden“, so der Text im Katalog. Der Rückzug müsste ihrer Meinung nach „eine internationale Diskussion um die Rechte der Kunst“ entfachen, wie sie im Gespräch mit dem Inforadio sagt.

Artur Żmijewski (*1966) selbst spricht von einem „Akt der Zensur“. Es ist ein „Weg uns vorzuschreiben, wie wir die Vergangenheit verstehen müssen“, sagt er der Vice. Für ihn reflektiert das Video den Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Idee schöpft er aus einem persönlichen Erlebnis. Als junger Aushilfslehrer betreute er eine Gruppe von Jugendlichen bei einem Sommerausflug ins Konzentrationslager. Die Jungen machten Witze, lachten und rannten durch die Gaskammern. Der Künstler war so schockiert, dass er die Bilder als Anlass für seine künstlerische Arbeit nahm. Er castete die Schauspieler, erhielt die Erlaubnis in dem ehemaligen Konzentrationslager zu drehen und gab die Anweisungen. „Das Entkleiden dauerte ein bisschen länger als zwei Stunden, danach spielten die Darsteller alles authentisch. Alle Aufnahmen wurden gezeigt“, sagt Żmijewski im Gespräch mit der Vice. Das Video entstand vor 12 Jahren und ist 3:50 Minuten lang. Im Nachhinein veranlasste die Leitung der Gedenkstätte, dass der Ort namentlich nicht erwähnt wird. Ein Tabubruch?

Wie wird Geschichte vermittelt?

Żmijewski verfehlt sein Ziel. Das Video vergegenwärtigt eben nicht „die dramatische Geschichte der Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg“, wie er es im Interview mit der Vice verstanden wissen will. In seiner Arbeit verknüpft er das kindlich-naive Fangspiel mit provozierenden Nacktszenen. Als Schauplatz dient eine Gaskammer, in der unzählige Menschen qualvoll ermordet wurden. Seine radikale Inszenierung bricht mit den Verhaltensweisen, die heute an den Ort – eine Gedenkstätte - geknüpft sind. Den gesellschaftlichen Vereinbarungen zufolge dient sie der Ruhe und Gedankenarbeit. Dort versetzen schmerzhafte Erinnerungen Besucher in einen Zustand der Betroffenheit. Muss dieser Ort einen Skandal beherbergen?

„Berek“ ist ein abstoßendes Ereignis in der Gegenwart. Żmijewskis Bilder widersprechen gesellschaftlichen Abkommen und grenzen an eine Pervertierung historischer Tatsachen. Die Provokation liegt in der unangemessenen Darstellung. Mit schockierenden Bildern wird die Geschichte umgeschrieben. Das Tradierte wird herausgefordert, indem es von einem absurd fiktionalen Moment überlagert wird. Żmijewskis Motiv geht dabei verloren. Er übernimmt unwillkürlich die Rolle des Täters und reaktiviert die Grausamkeiten der Geschichte als falsche Fiktionalisierung.

Wie werden die Schrecken des Nationalsozialismus in der Gegenwart verhandelt? Wie wird Geschichte vermittelt? Interessante Fragen, die Żmijewski aufwirft. Er spricht davon, sichtbar werden sie in seinem Werk nicht. Stattdessen brechen seine Story und der Plot mit dem Akzeptablen. Aufeinander treffen erschütternde Bilder, die komplexe Geschichte des Nationalsozialismus und dessen gegenwärtige Lesarten – das Konvolut löst ungeahnte Emotionen aus. Diejenigen, bei denen die Ereignisse Präsenz haben, werden erneut erschüttert. Bei allen anderen stößt die Arbeit auf Desinteresse oder schlichte Ablehnung. Ist das Żmijewskis Ziel? Radikal negiert er unser Geschichtsverständnis. Rücksichtslos schreibt er die Ereignisse und ihren Kontext um.

Artur Żmijewski spricht bei der Entfernung seines Werks von einem „Akt der Zensur“.

 

 

Zensur im Museum

Darf Kunst das? Żmijewski fordert das Publikum heraus. Museen und Institutionen stellt er vor die Frage, wie so etwas gezeigt werden kann. Darf es überhaupt gezeigt werden? Sievernich hat seine Antwort gefunden. Das Werk kann nicht Teil einer Ausstellung sein – um eine Diskussion bemüht er sich nicht. Allerdings lässt sich die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus, den Rechten der Kunst und unserer Idee von Geschichte nicht allein in die Medien abschieben. Die Reaktion Sievernichs blockiert die Diskussion und lenkt das Problem in eine andere Richtung. Jetzt verwundert es mehr, dass ein Werk erst nachdem es für Unruhe gesorgt hat, aus einer Ausstellung entfernt wird. Hat eine Auseinandersetzung mit den Arbeiten innerhalb des Martin-Gropius- Baus überhaupt stattgefunden? Die Diskussion um eine Zensur ist entfacht, über das Werk spricht niemand mehr.

Dabei stellt Żmijewski Museen und Institutionen vor ein interessantes Problem. In welchem Kontext ist die Arbeit präsentierbar? Klar ist, dass sie den gewöhnlichen Rahmen eines Museums sprengt. Das Werk hat keinen Platz in einer konventionellen Ausstellung. Der kontemplative Rundgang, bei dem Kunstwerke isoliert voneinander betrachtet werden und nur eine intime Auseinandersetzung zwischen Betrachter und Werk stattfindet, scheint nicht angemessen zu sein. Die Beschäftigung mit dieser Arbeit scheitert am klassischen Format. Dennoch muss die Provokation und ihr Ursprung im Museum aufgeschlüsselt werden. Ein Ausschluss skandalöser Arbeiten verdrängt die dahinter versteckten Probleme. Aufgehoben werden sie nicht.

Geschichte, Gegenwart und Kunst bedürfen neuer Strategien der Bearbeitung und Vermittlung. Angemessen wäre eine Institution, die ihren Auftrag darin sieht, die Fragmente neu zu ordnen. Es genügt nicht, das Werk unkommentiert zu zeigen. Es braucht einen Rahmen, in den es eingebettet wird. Die ausgelösten Reaktionen und Emotionen müssen aufgefangen und aufgearbeitet werden. Auch unser Konsumverhalten im Museum muss sich ändern. Wir müssen bereit sein, uns mit Konflikten auseinanderzusetzen. Anstrengung ist gefordert.

Żmijewskis Kunstwerk verlangt nach einem Museum, das sich als eine Plattform des Austauschs versteht. Es benötigt ein neues Format, in dem es präsentiert und vermittelt wird. Die Präsentation kann stattfinden, wenn im Anschluss daran eine Diskussion initiiert wird. Einen diskursiven Rahmen braucht es, in dem das Gezeigte besprochen und verhandelt wird. Das kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Aber eines ist sicher: Probleme brauchen öffentliche Foren.

Der Film „Berek“ von Artur Żmijewski wurde im November 2011 aus der Ausstellung „Tür an Tür“ im Berliner Gropiusbau entfernt.

 

 

1 Kommentare

  1. Jonas Schenk sagt

    Mir scheint die Interpretation hier ein verklärendes Geschichtsbild zu sehen für etwas verfehlt. Geht es nicht eher darum, wie wenig reflektierend mit der Geschichte heute umgegangen wird? Diese Arbeit passt wunderbar zu Broders Aufforderungen Ausschwitz zu vergessen. Żmijewski zeigt uns warum.

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