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Kopf aus dem Sand

In den letzten Wochen haben sich die Katastrophen- bzw. Schreckensmeldungen gehäuft. Das mag freilich am unübersehbaren Sommerloch gelegen haben. Offenbar haben sich die Redakteure der großen Feuilletons auf die Suche begeben und nach noch tieferen Löchern gesucht. Über das eine, den Tod Christoph Schlingensiefs und das Loch, das er in der deutschen Kunstlandschaft hinterlassen hat, sind sie eher unfreiwillig gestolpert. Um über das andere zu stolpern, mussten sie nicht allzu weit laufen. Die Rede ist von dem Tief, dem dieser Tage wohl kaum ein Akademiker entkommen kann: die Promotion. Im „Unispiegel“ erschien kürzlich ein Beitrag mit dem Titel „Alptraum Promotion. Doktoranden vor der Pleite“, der den promovierenden Akademiker sicherlich nicht in Hochstimmung versetzen konnte. Dort ist vom „dürren Doktoranden“ Michael Bahn die Rede, der mit knurrendem Magen und einem Stück Traubenzucker im Mund vor 80 Stundenten tritt, um ein Proseminar über „Typenbildung in Theaterstücken“ an der Universität Potsdam zu halten. Für ein Frühstück hat sein Gehalt an diesem Morgen nicht gereicht. Mit dem Proseminar, Nachhilfestunden und einem Zuschuss vom Amt hält er sich über Wasser, bis ab Oktober mit einem Stipendium bessere Zeiten für ihn anbrechen - die besseren Zeiten sind erst einmal auf zwei Jahre begrenzt, dann läuft nämlich das Stipendium aus.

Wie es dann weitergehen kann, konnte man in der „Zeit“ unter dem Titel „“Ich wollte nur noch fliehen““ lesen. Ein Juniorprofessor, Anfang 30 - erfolgreicher und glücklicher geht es kaum, möchte man meinen - berichtet, wie er aus einer Fakultätsratssitzung geflohen ist, weil er dem Druck nicht mehr standhalten konnte. Diagnose Burn-Out. Dass vom Burn-Out inzwischen sogar Bachelorstudenten bedroht sind, war ebenfalls in der „Zeit“ nachzulesen. Studentin Anna hatte einen „streng geregelten Tagesablauf“, in dem Freizeit an sieben Tagen in der Woche nicht vorgesehen war, bis sie auf dem Weg zur Uni eine Panikattacke bekam und schließlich die Psychotherapeutische Beratungsstelle des Studentenwerkes aufsuchte.

Der Alptraum beginnt für manche also nicht erst mit der Promotion und hört, verfolgt man Diskussionen um den Karrierebeginn, für manche gar nicht erst auf. Nach erfolgreich abgeschlossener Promotion folgt mit dem Volontariat das nächste Tief, denn mit dem Gehalt krebst man erst einmal wieder zwei Jahre am Existenzminimum herum. Beide Tiefs sind leider ein Muss, denn ohne Promotion kein Volontariat und ohne Volontariat keine Mitarbeiterstelle. Im Ausland ist offenbar genau das Gegenteil der Fall; dort verschweigt man am besten, dass man einen Titel hat, um nicht überqualifiziert zu sein, wie eine aktuelle Diskussion im Art History Newsletter zeigt. In der Wissenschaftslandschaft wird man in Deutschland ohne Promotion in den seltensten Fällen wahr- bzw. ernst genommen. Um ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern: Bei Art-Hist weigert man sich seit einigen Jahren unsere Artikelaufrufe und TOC’s zu versenden, schließlich sind wir eine „Zeitschrift für junge Kunstgeschichte“ und publizieren deshalb Aufsätze von Graduierten und Studierenden und nicht von Professoren, die andernorts bereits mehr als eine Publikationsmöglichkeit haben.

Wie dem auch sei, was tun, wenn man bereits an der Promotion sitzt? Auf jeden Fall sollte man über die Schreckensmeldungen nicht vergessen, weiter zu schreiben und sich den Erfolgsmeldungen zu widmen, denn die gibt es auch, das ebenfalls in der „Zeit“ und zwar unter dem Titel „Meine globale Doktorandenfamilie“ oder bei uns.

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