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Ist jeder Künstler ein Kurator?

Jemand kriecht auf allen Vieren. Kopfwärts flüchtet er unter einen schwarzen Regenschirm. Seinen Körper bedeckt ein durchsichtiges Tuch, seine Augen verhüllt ein Schleier. Der Mund liegt frei, aufgerissen zu einem tiefdunklen Loch. Will dieser jemand schreien? Ist dieser jemand ein Monster oder das Opfer seiner eigenen Umwelt? Im Londoner Camden Arts Center hat der Künstler Simon Starling Antworten gefunden. Starling wurde eingeladen die Sammlung des Hauses zu kuratieren, zusammenzustellen und neu zu interpretieren. Jetzt hat Francis Bacons „Figure Study II“ aus dem Jahr 1945-46 ein Pendant, das unfreiwillig zu seiner Interpretation beiträgt. Auf dem Boden daneben steht die Fotografie „Displacement“ von Andrea Fischer. Das Bild in Grau zeigt einen weggedrehten Kopf und dokumentiert die schrecklichen Folgen der Bombenexplosion über Hiroshima. Der erste Atomangriff der Menschheit tötete sofort 200.000 Menschen. In London, 9.500 km entfernt von der Katastrophe, malt Bacon im gleichen Jahr sein Gemälde.

Neue Interpretationsansätze ermöglicht Simon Starling durch neue Nachbarschaften.

„Never the Same River (Possible Futures, Probable Pasts)“ nennt Simon Starling seine Ausstellung und will sagen, dass ein Bild im Jetzt verstanden wird. Wahrscheinlich hat es eine Zukunft und eine Vergangenheit, über beides lässt sich nur mutmaßen. Im Camden Arts Center sind 30 Werke an denjenigen Orten platziert, an denen das Museum sie erstmals der Öffentlichkeit zeigte. Leerstellen füllt Starling mit neuen Kunstwerken und vervollständigt dadurch die Sammlung.

Ist das eine Geste des Ausstellens, die wissenschaftliche Kuratoren nicht gewagt hätten? Der „Green Room“ im Weltkulturenmuseum in Frankfurt folgt einem ähnlichen Schema. Der Künstler Shane Munro kuratiert den Schauraum. Er lädt andere Künstler ein, auf die ethnografische Sammlung des Hauses zu reagieren, sich mit den Objekten auseinanderzusetzen und zeitgenössische Dokumente zu produzieren. Die erste Schau zeigt acht Städelstudenten, englischen und deutschen Hintergrunds, die mit Tonklumpen, drei weißen Leinwandscreens und mehreren Standleuchten eine Ausstellung namens „Cladows“ arrangieren. Dana Munro projiziert Dias aus der Kolonialzeit in Pink und Türkis auf Leinwand. Landschaften aus Palmen, Strand und blauem Himmel überlagern sich, darüber bewegt sich der Schatten zweier Autoscheibenwischer. Das Fernweh lässt grüßen.

Es hat Tradition, dass Künstler Ausstellungen ausrichten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bezogen die Nazarener das Kloster Sant’Isidoro, um direkt in Rom die Meister der Antiken zu studieren. Am Ende des Jahrhunderts entwickelte sich eine Welle der Secessionen. Künstler, Bildhauer, Dichter, Architekten und Intellektuelle vereinigten sich in Wien, Berlin und München. Sie eröffneten Kunsträume und präsentierten ihre neusten Werke. In Paris sorgte Henri Edmond Delacroix 1884 mit seinem „Salon des Indépendants“ für Furore. Der Unterschied zu heute ist: Die historischen Künstlergruppen kämpften gegen den Konservativismus in der Kunst. Die Nazarener verhöhnten die Lehre der Akademie. Die Secessionisten lehnten die Weltkunstausstellung ab. Delacroix reagierte zum Beispiel auf die Absage des Pariser Salons, seine Werke auszustellen. Er entschloss sich, gemeinsam mit den Pointillisten Seurat und Signac, eine unabhängige Künstlergemeinschaft ins Leben zu rufen. Das ist ein reaktionärer Schachzug.

Ein reaktionärer Schachzug?

Heute beauftragen etablierte Institutionen die Künstler, nutzen deren soziales Netzwerk und integrieren die künstlerische Perspektive in ihr Haus. Letzter Fall: Flaca, der Londoner Off-Space des Künstlers Tom Humphreys. Ein ehemaliger, alternativer Kunstraum wird im Portikus ausgestellt. Die Antikultur ist in der Trend-Institution angekommen. Neben 13 Künstlern ist auch der Künstlerkurator selbst mit vier Postern und sechs Porzellantellern in der Ausstellung vertreten. Tom Humphreys weiß seinen Auftritt zu nutzen. Wenn er schon eine Ausstellung kuratiert, darf seine eigene künstlerische Position nicht fehlen. Da hat sich jemand selbst seine Bühne geschaffen. Die Künstler, die in Zukunft Geschichte schreiben, sind definitiv auch als Kuratoren aufgefallen.

 

Abbildungsnachweis

Abb. 1 | via Camden arts centre
Abb. 2 | Creative Commons -Lizenz Bundesarchiv, Bild 183-1986-0718-502 / unbekannt / CC-BY-SA unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland lizenziert.

5 Kommentare

  1. Die Frage berührt ein sensibles Thema. Inwieweit sind die Sphären der Kunst und des Kuratierens durchlässig?

    Mir scheint, daß es geläufiger ist, wenn Künstler kuratieren, - wie hier dargestellt -, als umgekehrt.

    Was wäre, wenn Daniel Birnbaum plötzlich Bilder malte?

  2. Vivien sagt

    Danke, Stefan! Deine erste Frage finde ich sehr interessant. Das wäre sicher einen weiteren Artikel wert. Mich hat jedoch weniger interessiert, was der Unterschied zwischen Künstler und Kurator ist. Ich habe eher festgestellt, dass Künstler momentan zahlreiche Ausstellungen kuratieren. Daraufhin habe ich mich gefragt, mit welchem Ziel. Ich glaube, dass es im Moment sehr leicht ist, mit dieser Strategie aufzufallen. Hervorzuheben ist außerdem, dass sie ihre eigenen Arbeiten oft selbst in die Ausstellung integrieren.

  3. Lina sagt

    Also, ich denke, dass die Auftraggeber vor allem auch mit dem Namen der kuratierenden Künstler werben wollen. Ob dabei dann eine gute Ausstellung herauskommt, wird glaube ich bisher noch nicht reflektiert, oder gibt es dazu schon Meinungen? Das würde mich mal interessieren. Generell finde ich es super, wenn Künstler mit kuratieren (weil dann die Werke teils einfach besser verstanden werden können, je nach Hängung/ in-Zusammenhang-stellen mit anderen Werken), aber den Alleingang finde ich zweifelhaft…

  4. david sagt

    sehr interessant deine zwei konzepte vom künstler und kuratoren gegenübergestellt zu sehen. allderings würde ich im besonderen mehr deine auffassung von dem kurator ausgeführt sehen wollen.
    speziell der „wissenschaftliche“ kurator hat es mir in dieser hinsicht angetan; wie steht ein abendländisches konzept vom „über-ich künstlers“ einem in den popstar-status erhobenen individuum - also radikal subjektiv - der von peer-review falsifizierbaren wissenschaft - einer disziplin pochend nach größtmöglicher allgemein-gültigkeit und dementsprechend gemünzt mit: der wahrheit und nichts als der wahrheit - gegenüber?
    wohlwollend konnte man vielleicht von einem „universitären“ kurator sprechen? - hier vielleicht mit eingeschränkter treffsicherheit, denn in diesem fall sind wir schon fast bei „universal“ - wie ich finde brandgefährlich da genauso radikal entgegen meiner auffassung des kurator - vom wort her: vormund; pfleger; vertreter; - aber immer radikal subjektiv!
    bitte mich zu entschuldigen aber für mich ist es immerzu ein affront wenn einer der zwei k’s sich die allgemeingültigkeit an-heimst.
    menschen mit einer (überhöht) vision kann man nennen wie man will - dabei vision als vorstellung genauso wie halluzination - die pseudo-allgemeingültige hochschulmaschinerie mag diese liefern oder auch nicht!
    aber zur sache, ich kann deine aneignung dem s.s. seinem konzept in west-london durchaus nachvollziehen. es war vorallem eins - smart! genauso seine rede bei der eröffnung in welcher er punkte mit seinem nekischen guter-schwiegersohn image sammeln konnte - aber leider wenig zur sache verteilt hat.
    was übrig-bleibt sind nicht die materialien im obergeschoss vielmehr zuneigung für seine persönlichkeit und witz.
    ich möchte mein augenmerk gerne auf die ganzen vorherigen verantwortlichen in camden lecken. verdanken war die ausstellung inhaltlich eigentlich diesen! s.s. hat sich nur mit halbwegs sicherer hand rausgezogen was gerade in die umgebung passte, zugegeben ein achtungs-verfolg in zwei räumen (der bacon wars sicher nicht, also für mich :,)
    des schlauchsystems, welches man nicht nur als fluss sehen kann sondern auch als verdauungskanal.
    weiter, sicher nicht nur im 19.ten war die selbstorganistion (wie beschrieben wohlgemerkt nach vorheriger nicht-geglückter anbiederung) ein ventil für die ignoranz und sicherheitsdenken/fühlen des „vormunds“ - konservatismus hat aus dem wort herraus viel mit dem bewahrer also dem pfleger zu tun. ein schlem wer den hippen und aufgeschlossenen k’s die konservativ behütete kindheit vorwerfen wollte (mich eingeschlossen).
    genug der großrederei.
    hat mich gefreut den text zu lesen.
    in meinem neu-entdeckten facebook zeitalter kann ich mal den eingebildeten ‚like it‘ button anklicken .

  5. Vivien sagt

    Liebe Lina,
    ich bin leider noch auf keine Publikation gestoßen. Finde die Fragen aber auch sehr spannend.

    Lieber David, ich freue mich über dein Kommentar. Super auch, dass du die Ausstellung im Camden Arts Center gesehen hast. Deine Meinung dazu finde ich interessant. Welche Arbeiten haben dich denn dort beeindruckt?

    Aber zurück zu deiner Frage: Du hast natürlich Recht, dass in diesem Zusammenhang erst die Aufgaben eines Kurators benannt werden sollten, damit man überhaupt bewerten kann, ob eine Ausstellung eine gut kuratierte Ausstellung ist oder nicht. Und zwar unabhängig davon, ob sie nun von einem Künstlerkurator oder einem Kurator zusammengestellt wurde.

    Ich würde das zunächst ganz menschlich sehen, denn in beiden Professionen entscheidet das ästhetische Bauchgefühl über gelungene Kombinationen von Kunstwerken. Zudem entscheidet in beiden Fällen auch das soziale Netzwerk, was gezeigt wird und in beiden Fällen hat auch die Institution, die die Schau ermöglicht ein zu berücksichtigendes Entscheidungsmandat und beeinflusst mit ihrem Budget, ihren Kontakten und räumlichen Gegebenheiten die Präsentationen.

    Für mich hat ein Kurator grundsätzlich die Aufgabe, eine Ausstellung zu entwerfen, sie zu organisieren und sie zu vermitteln. Er agiert zwischen Publikum und Kunst, schlägt Interpretationen für das Gezeigte vor und knüpft Zusammenhänge zwischen Werken, Theorien und Ereignissen. Im besten Fall zeigt er Entwicklungen auf, die vorher noch nicht sichtbar waren, oder nicht besprochen wurden. Das heißt, er macht sich Gedanken darüber, wie die Ausstellung ankommt, was man zeigt, welche Kunstwerke man jeweils in einen Zusammenhang setzt und was das Gezeigte letztlich über die Welt aussagt. Er interessiert sich für den Mehrwert der Ausstellung und den Mehrwert des Besuchs. Zusätzlich - das ist in diesem Fall aber weniger relevant - kümmert sich ein Kurator um das finanzielle Budget und die Transporte. Er arbeitet mit Galeristen und Sammlern zusammen, besucht Messen, spricht mit den Hängeteams, denkt über Wandfarben und Beleuchtungssysteme nach oder arbeitet mit Ausstellungsarchitekten zusammen. Darüber hinaus interessiert sich für neue kunsthistorische und kunstästhetische Theorien, schreibt selbst Texte, organisiert Talks, Interviews und vernetzt Menschen. Er organisiert also die Ausstellung und bereitet alles vor.

    Interessant ist jedoch, dass Künstler kreativer mit dem Material Kunstwerk umgehen, als es ein wissenschaftlicher Kurator täte. So entstehen interessantere Ausstellungen – in thematischer und ästehtischer Hinsicht. Im Camdens Arts Center ist es z.B. die ganze Idee, hier flossen mehrere historische Ausstellung in eine neue. Die Bezüge zwischen den Werken waren hier das Spannende. Im Weltkulturenmuseum arbeiten mehrere Künstler zusammen an einer Ausstellung und reagieren auf eine ethnografische Sammlung. Eine von Ethnografen organisierte Ausstellung wäre wahrscheinlich viel didaktischer und würde schlicht die Objekte zeigen. Und im Portikus zeigt ein Künstler und ehemaliger Off-Space Besitzer die Arbeiten seine Künstlerfreunde. Ein Netzwerk, zu dem ein Kurator eben weniger leicht Zugang hat. Das gefällt mir alles sehr gut.

    Und natürlich hast du Recht, wenn du davon ausgehst, dass wissenschaftliche Kuratoren ihre Ausstellung theoretisieren und ihre aufgeworfenen Thesen (zu einen bestimmten Entwicklung, Strömung, Epoche, Stil, Medium etc.) in der Wissenschaft und der Museumswelt zur Diskussion stellen. Das ist aber eine wichtige Aufgabe, um das künstlerisch Praktizierte auszuarbeiten und einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Viele Besucher erwarten, dass sie die Möglichkeit haben, über die gezeigten Kunstwerke Informationen zu erhalten.

    Lina hat es schon ausgesprochen und mich überzeugt es: Eine Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichem Kurator und Künstlerkurator ergibt wohl die beste Ausstellung. Eine ästhetsich ansprechende, gut fundierte Show, die für den Besucher einen spannenden Parcour entwickelt, der nachvollziehbar ist und trotzdem neue Fragen aufstellt.

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