allerArt, Interview
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Im Dialog mit dem Leser

Kann man wissenschaftliches Schreiben lernen?

Selbstverständlich. Allerdings muss man drei Dinge beachten. Erstens: Es gibt bestimmte Regeln, die man kennen und beachten muss. Zweitens sollte man sich an Vorbildern schulen. Man sollte sich Texte zum Vorbild nehmen, die klar, präzise und verständlich geschrieben und gleichzeitig inhaltlich auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau sind. Viele Studenten wählen leider die falschen Vorbilder. Denn Studenten haben die Vorstellung, dass ein Text nur dann wirklich wissenschaftlich ist, wenn er schwer verständlich ist. Ich rate den Studenten, dass sie sich Fachtexte zum Vorbild nehmen sollen, die sie gerne gelesen und gut verstanden haben. Bei einer kritischen Lektüre muss man sich fragen, woran es liegt, dass der Text so klar und verständlich ist. Und drittens muss man üben. Wissenschaftliches Schreiben kann man lernen wie Klavierspielen. Natürlich gibt es Talente, viel ist aber auch mit Übung zu machen. Es reicht nicht, einen guten Text nur gelesen zu haben.

Schreiben hat mit dem Schreibenden zu tun

Wie sind Sie zum wissenschaftlichen Schreiben gekommen?

Bevor ich 1997 an der Universität Köln das Schreibzentrum gegründet habe, habe ich mich lange der germanistischen Lehre am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Köln gewidmet. Dort habe ich oft Examenskandidaten betreut. Mir ist aufgefallen, wie schwer sich viele Examenskandidaten tun, wie sie sich quälen und vielleicht sogar scheitern.

Je näher man dem Studienende kommt, desto schwieriger wird es, Seminararbeiten zu schreiben. Oft sagen mir Examenskandidaten, dass sie sich während des Studiums irgendwie durchmogeln konnten. Bei der Abschlussarbeit haben sie das Gefühl, dass sie nun zeigen müssen, dass sie es können. In Beratungen habe ich versucht, den Studenten zu helfen und sie zu unterstützen. Das hat sich sehr schnell herumgesprochen, so dass auch Anfragen für Beratungsgespräche von Studenten anderer Institute kamen.

Hinzu kam, dass ich früher selbst viel geschrieben und natürlich dieselben Erfahrungen gemacht habe. Man sollte nicht glauben, dass jemandem der viel schreibt, die Texte aus der Feder fließen. Jeder entwickelt im Lauf der Zeit Strategien. Nebenberuflich habe ich eine Ausbildung in Poesie und Bibliotherapie, die mit Lesen und Schreiben arbeitet, gemacht. In dieser Ausbildung ist mir klar geworden, was ich schon immer irgendwie geahnt hatte, nämlich dass Schreiben auch etwas mit dem Schreibenden selbst zu tun hat.

Welche Erfahrungen machen Sie heute am Schreibzentrum im Umgang mit den Studierenden?

Heute sind die Studierenden eher bereit, sich Unterstützung zu holen. Am Anfang meiner Arbeit im Schreibzentrum kamen nur die Studenten, die kurz vor dem Scheitern standen. Zwei Wochen vor der Abgabe der Diplomarbeit kamen die Studenten zu mir, hatten erst zehn Seiten geschrieben und 60 sollten es werden. Im Lauf der Zeit hat es sich durch Mundpropaganda herumgesprochen, dass es hilft, wenn man sich frühzeitig Hilfe sucht. Inzwischen kommen auch Studierende, die noch auf Themensuche sind. Nach wie vor sind es aber hauptsächlich Studienabschlusskandidaten und Doktoranden, die ins Schreibzentrum kommen. Es gibt allerdings eine leichte Zunahme von Studenten, die sich bereits im Grund- und Hauptstudium an mich wenden. Was den Beratungsbedarf selbst betrifft, hat sich nichts verändert.

Wann ist ein Thema machbar?

Welches sind die häufigsten Schwierigkeiten, die Studenten mit dem wissenschaftlichen Schreiben haben?

Die Hauptprobleme liegen im Strukturieren. Im Rückblick auf die Beratung sagen mir die Studierenden, dass in dem Augenblick, in dem wir gemeinsam eine Struktur erarbeitet haben, der Knoten geplatzt sei.

Das Buch begleitet Studierende wie der Titel verrät in allen Phasen einer wissenschaftlichen Arbeit.

Ich beginne meine Beratung mit einer Problemanalyse. Denn Studierende haben häufig ein diffuses und oft auch gar nicht zutreffendes Problembewusstsein. Ein Beispiel: Ein Student bemängelt, dass er sich schlecht wissenschaftlich ausdrücken könne und möchte mit mir daran arbeiten. Wir sehen uns dann gemeinsam ein Textbeispiel des Studenten an, ich lese einen Passus laut vor und frage: Was möchten Sie hier eigentlich sagen? Hierauf wissen die meisten Studenten keine Antwort. Das Problem ist also nicht, dass der Schreiber sich nicht gut ausdrücken kann, er weiß einfach nicht, was er sagen möchte. Es handelt sich also eigentlich um eine Frage der gedanklichen Strukturierung. Die Frage der schriftlichen Umsetzung steht an zweiter Stelle. Ich gehe mit den Studierenden einen Schritt zurück und arbeite mit ihnen am Gedankengerüst.

Häufig sind die Studierenden noch auf der Suche nach einer Abschlussarbeit, können aber nicht einschätzen, was machbar ist. Wir loten gemeinsam Themen aus und legen Grenzen fest. Die meisten Studierenden möchten zu viel, da irgendwie alles interessant ist und haben Schwierigkeiten, sich zu fokussieren. Wir arbeiten an der Machbarkeit des Themas. Ein Thema ist erst dann machbar, wenn man einen konkreten Arbeitsauftrag hat.

Dieser intensive Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden findet im Universitätsalltag selten statt. In der Universität machen Studenten häufig die Erfahrung, dass sie kein Feedback zu Ihren Seminararbeiten vom Dozenten bekommen. In den meisten Fällen steht nur eine Note unter der Arbeit, mit der der Student alleine gelassen wird. Was raten Sie in diesem Fall? Denn nicht in jeder Stadt gibt es ein Schreibzentrum.

Zuerst muss man sich auf die Suche nach den Defiziten begeben. Am besten geht man zum jeweiligen Dozenten in die Sprechstunde und fragt nach, was mangelhaft an der Arbeit ist. Es bringt wenig, seine Fantasie zu entfalten und sich zu überlegen, was der Dozent vielleicht gerne gelesen hätte. Fragen Sie freundlich und höflich, aber bestimmt nach. Das ist ihr gutes Recht als Student, denn sie sind an der Universität, um zu lernen – Sie müssen nicht bereits alles können.

Sollte es aus irgendeinem Grund kein Feedback vom Dozenten geben, was durchaus einmal vorkommen kann, dann setzen Sie sich mit einigen Leuten zusammen und machen bei der gemeinsamen Lektüre der Arbeit eine Defizitanalyse. Fragen Sie auch beim Dozenten nach, ob Sie die Arbeit verbessern dürfen. Man lernt mehr, wenn man eine schlechte Arbeit verbessert, statt sich bei einem neuen Dozenten an einer neuen Arbeit zu versuchen.

Ein Blick in das wissenschaftliche Vokabelheft hilft

In Ihrem Schreibzentrum bieten Sie Crashkurse zum Schreiben von Qualifikationsschriften an, die man natürlich nicht ein zweites Mal schreiben kann. Vor welche Probleme sehen sich Examenskandidaten gestellt?

Neu ist nur der enorme Zeitdruck. Die Qualifikationsschrift ist umfangreicher, d.h., dass das Problem Forschungsliteratur zielorientiert auszuwerten größer ist, da mehr Literatur zu bewältigen ist. Deshalb ist es hier noch wichtiger, sich gut orientieren zu können.

Ein Sprichwort besagt „früh übt sich, was ein Meister werden will“. Wie können Studienanfänger schnell den Einstieg in die Wissenschaftssprache meistern?

Schnell, das geht nicht. Wir sprachen zu Beginn über Vorbildtexte und die Schreibübung. Es zahlt sich aus, auch wenn es natürlich viel Arbeit macht, früh im Studium Vorbildtexte auszuwerten. Um realistisch mit der Erfüllung der eigenen Wünsche zu bleiben, sollte man sich 15 Minuten in der Woche über einen Text setzen und sich fragen, wie der Text gemacht ist. Schreiben Sie Formulierungen, die Sie gerne verwenden würden, wie Vokabeln heraus. Legen Sie sich eine Sammlung von Bausteinen an, die Sie immer wieder anwenden können. Zunächst wird man beim eigenen Schreiben gelegentlich in das Vokabelheft schauen müssen, aber irgendwann geht das passive Wissen in den aktiven Gebrauch über. Mit der Zeit nähert man sich an die Vorbilder an, das aber nur, wenn man sich besagte Viertelstunde pro Woche nimmt.

Das Buch bietet zahlreiche Formulierungshilfen für die Gelenkstellen wissenschaftlicher Arbeiten.

Bislang hat es ja auf dem deutschen Buchmarkt keine Ratgeber zum wissenschaftlichen Schreiben gegeben. Für den englischen Sprachraum hingegen gibt es viele gute Stilratgeber. In meinem Buch „Richtig wissenschaftlich schreiben“ benenne ich sehr klar Regeln. Meinen Studierenden empfehle ich, bei einem eigenen wissenschaftlichen Text eine Stilanalyse zu machen. Die Frage bei der Lektüre lautet: Welche von den Regeln in diesem Buch haben Sie am wenigsten beachtet? Von den Regeln, die Sie noch nicht beachtet haben, aber gerne beachten würden, wählen Sie zwei aus, die Sie in Zukunft aktiv beim Schreiben beachten wollen. Sie sollten sich höchstens zwei, vielleicht auch nur eine Regel vornehmen, damit Sie vor lauter Regeln auch noch zum Schreiben kommen. Zwei weitere Regeln wählen Sie dann für die Überarbeitung aus, so dass Sie mit vier Regeln arbeiten.

Für eine schnelle Hilfe bietet das Buch Listen von Formulierungen für Gelenkstellen von wissenschaftlichen Arbeiten, wie etwa Einleitung, Fazit, Kapitelüberleitungen oder Auswertung beziehungsweise Umgang mit der Forschungsliteratur. Diese readymade Formulierungen kann man in die eigene Arbeit integrieren.

Den Professor vergessen

Sind denn wissenschaftliche Texte zwangsläufig trocken oder darf vielleicht auch essayistisch geschrieben werden?

Trocken müssen wissenschaftliche Texte nicht sein, nein. Für mich ist der Gegenbegriff zu trocken allerdings nicht essayistisch. Wissenschaftliche Texte sind spannend zu lesen, wenn man sich Folgendes überlegt: Für wen schreibe ich? Was könnte meinen Leser interessieren, was weiß er vielleicht noch nicht? Wie kann ich den Inhalt so aufbereiten, dass er spannend zu lesen ist? Was Sie schreiben, ist ein Dialog mit diesem Leser.

Ich nenne gerne als Vorbild, vom Inhalt einmal ganz abgesehen, Sigmund Freud. Er gilt als ein Schriftsteller, der es verstanden hat, komplizierte Zusammenhänge spannend und leserorientiert zu präsentieren und dabei wissenschaftlichen Standards zu genügen. Man muss einen Text nicht essayistisch aufpeppen.

Interesse wecken kann man durch Leserorientierung. Studierende schreiben in der Regel für den Professor. Den Professor sollte man beim Schreiben der Rohfassung aber lieber erst einmal vergessen. Denken Sie nur so lange an den Prüfer, bis sie anfangen zu schreiben. Denn es ist ja tödlich, einen Leser vor Augen zu haben, von dem man denkt, dass ihn der Text nicht sehr interessiert oder dass er sowieso schon alles weiß. Das kann ja nur demotivieren.

Was zeichnet einen guten wissenschaftlichen Text aus?

Auf diese Frage möchte ich mit drei Kernpunkten antworten. Erstens muss der Dialog mit der ’scientific community‘ erkennbar sein. Man muss zeigen, dass man weiß, was die Wissenschaftler vor der eigenen Beschäftigung mit dem Thema gedacht haben. Man muss sich kritisch darauf beziehen und damit auseinandersetzen. Zweitens muss in der Argumentation ein ausgewogenes Verhältnis von Hypothesen und Belegen vorhanden sein. Das ist übrigens der Hauptfehler, den Studierende machen. Entweder werden zu viele Hypothesen aufgestellt, zu denen Belege fehlen oder es werden zu viele kleine Beobachtungen gemacht, aus denen keine Schlussfolgerungen gezogen werden. Und drittens würde ich sagen, dass der Text in der Struktur und in der Aussage klar zielführend sein muss. Man muss von Beginn an wissen, welche Frage man beantworten möchte. Den Leser sollte man Schritt für Schritt durch die Arbeit führen. Am Ende muss der Leser eine klare Antwort auf die eingangs gestellte Frage bekommen.

Weitere Informationen zum Schreibzentrum sind auf der Homepage zu finden. Zahlreiche Bücher von Helga Esselborn-Krumbiegel sind bei UTB erschienen, und sie ist Herausgeberin der Reihe „Uni Tipps“.

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