allerArt, Interview
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Einladung zur Kontemplation mit „Castor & Pollux“

Du bist Medizinstudent und hast für Dein Kunstblog „Castor & Pollux“ gerade den Lead-Award Bronze in der Kategorie „Web Blog“ erhalten. Warum hast Du Dich gegen ein Studium der Kunstgeschichte entschieden?

Ich studiere seit neun Semestern Medizin. Als ich mich damals entscheiden musste, war die Kunst noch kein großes Thema für mich. Das entwickelte sich erst und irgendwann entstand die Idee, im Doppelstudium Kunstgeschichte nebenher zu studieren. Das wird allerdings durch die Bedingungen meiner Uni unmöglich gemacht, denn das Erst- sollte dem Zweitstudium nutzen oder zumindest sollte ein Zusammenhang vorhanden sein. Das ist bei Kunstgeschichte und Medizin denkbar schwierig.

Du bringst in Deine Kritiken immer wieder wissenschaftliche Positionen ein. Woher nimmst Du dieses breitgefächerte Wissen?

Ich bin Autodidakt. Ich lese vielleicht nicht die Bücher, die in der Uni gelesen werden, kenne aber natürlich die Standardwerke. Dadurch stößt man auch auf andere Quellen und kann die Dinge weiterverfolgen. Hin und wieder besuche ich auch die Vorlesungen der Kunstgeschichte, was das Studium Generale möglich macht. Den größten Teil macht aber tatsächlich das Studium der Literatur aus.

Von Autoritäten lernen

Ist das Bloggen also das Ende des Expertentums?

Nein, das glaube ich nicht. Darauf kann man nicht verzichten. Ich glaube, das Bloggen ist eine Demokratisierung der publizistischen Ordnung. Das heißt nicht, dass das, was gebloggt wird, unbedingt qualitativ hochwertig sein muss, jedenfalls nach wissenschaftlichen oder feuilletonistischen Kriterien. Experten wird es immer geben. Es ist nach wie vor notwendig, dass man von Autoritäten lernt. Für manche ist das der Experte, für viele vielleicht das Blog. Ich glaube, diese Ordnung bleibt weiterhin bestehen.

Muss ein Blogger über andere Eigenschaften verfügen als über eine wissenschaftliche Ausbildung?

Das hängt davon ab, wie man sein Blog führen möchte. Die Kriterien, die ein Blog ausmachen, sind denkbar breit gefächert und lassen viel Spielraum. Man kann natürlich auch wissenschaftlich arbeiten, weil man eine sehr einfache Möglichkeit hat, Geschriebenes zu veröffentlichen. Es ist sicherlich gut, wenn man wissenschaftliches Hintergrundwissen hat; nur wenn man die Zeit dafür nicht aufwenden kann oder möchte, dann ist es vielleicht nicht ganz so wichtig. Ich glaube, wenn man sich durchsetzen möchte, braucht man vor allem viel Elan.

Matthias Planitzer berichtet aus Berlin über zeitgenössische Kunst.

Wo positionierst Du Dein Blog in der deutschen Blog- und Medienlandschaft?

„Castor & Pollux“ ist eines der Blogs, die sich sehr viel mit Ausstellungen selbst befassen und versuchen, kritische Töne anklingen zu lassen. Dagegen gibt es das andere Extrem, wenn eher Bilder dominieren und Eindrücke gegeben werden – was natürlich auch in Ordnung ist. Bei mir steht der Text im Vordergrund. Da ich in Berlin wohne, ist es natürlich eher ein auf die Hauptstadt konzentriertes Blog, im Vergleich zu anderen Webseiten, die das ganze Bundesgebiet umfassen oder gar international arbeiten.

In Bottrop wäre alles anders

Glaubst Du, Dein Blog wäre ähnlich erfolgreich, wenn Du nicht in Berlin angesiedelt wärst und über die dortigen Ausstellungen berichten würdest?

Im deutschlandweiten Vergleich wäre das sicherlich schwierig. Wenn ich in Bottrop sitzen würde, würden sich nicht so viele Gelegenheiten ergeben, über Ausstellungen zu schreiben. Im Internationalen Vergleich ist es anders, weil sich gerade die Amerikaner im Bereich der Kunstblogs schon weiter professionalisiert haben. In Berlin kann man jeden Tag vier oder fünf Vernissagen besuchen, es gibt also sehr viel, worüber man schreiben kann.

Was kann man in Deutschland von den amerikanischen Kunstblogs lernen?

Die Frage ist, was diese Blogs professioneller macht. Eine wichtige Rolle spielt, dass dort Kunstkritiker mit wissenschaftlichem Hintergrund arbeiten und nicht Studenten oder Künstler, die neben ihrer eigentlichen Tätigkeit schreiben. Es gibt dort außerdem größere, redaktionell geführte Teams, was verschiedene Unterthemen ermöglicht, aber auch, die Texte mit Nuancen im Stil zu beleben.

Welche Vorzüge haben Kunstblogs gegenüber Printmedien zum Thema Kunst?

Es gibt einige Vorzüge, die in der Medialität begründet liegen. Blogs können dieselben Formate liefern, seien es Ausstellungsrezensionen, Kritiken oder Interviews. Zugleich sind Blogs als Live-Medien nutzbar. Ein gutes Beispiel lieferte das Kunst-Magazin, das live von der letztjährigen ArtBasel gebloggt und in vier Tagen 18 Artikel veröffentlicht hat. Das wäre in einem Printmedium natürlich nicht möglich. Außerdem kann man Multimedia-Inhalte einbinden und wesentlich besser und umfangreicher mit Bildern arbeiten – man ist insgesamt freier.

Alberne Streetart auf der Straße

Am Anfang hast Du bei „Castor & Pollux“ sowohl über Museumskunst, als auch über Streetart geschrieben. Warum hast Du Dich entschieden, gerade jetzt nicht mehr darüber zu schreiben, wo Streetart ein sehr breites Publikum auf Facebook, Blogs und Instagram hat?

Die Entscheidung stand am Ende eines langen Prozesses. Im Oktober 2010 habe ich in einem etwas polemischen Artikel geschrieben, warum Streetart bei „Castor & Pollux“ keinen Platz mehr hat. Ursprünglich war beides im Titel „Castor & Pollux“ verankert, benannt nach jenem mythologischen Zwillingspaar, wovon der eine vergänglich und der andere ewig ist. Mir fiel auf, dass Streetart, die ich als Passant sehe, nichts ist, worüber ich schreiben könnte, es sei denn, man wolle nur Bilder posten. Die bessere Streetart existiert in Nischen, in leerstehenden Gebäuden beispielsweise, die die meisten Leute nie erreichen wird. Die Streetart auf der Straße ist albern geworden und reicht nur für einen kurzen Lacher, mehr aber auch nicht. Streetart wird als demokratisches Medium wahrgenommen und findet unter der Losung statt, dass die öffentlichen Räume zurückerobert werden sollen. Diese Chance wird aber kaum genutzt. Daher ist Streetart ein wunderbares Medium, löst aber viele Versprechen nicht ein.

Ein großer Teil der anderen deutschen Blogs bewegt sich inhaltlich an der Grenze zwischen Kunst und Design oder Kunst und Mode. Ist für Dich die Entscheidung, hauptsächlich über Kunst zu schreiben, ein Versuch der Annäherung an Printmedien?

Das ist kein vordergründiges Interesse, auch wenn ich Magazine wie art oder monopol gerne lese. Ich schreibe nicht über Design oder Mode, weil es mich nicht in dem Maße interessiert, dass ich Kapazitäten aufbringen könnte, um wirklich kritisch oder fundiert darüber zu schreiben. Da gibt es andere Webseiten und Autoren, die das wesentlich besser können als ich.

Kontemplation versus Zerstreuung

Willst Du das Blog als legitimes Medium der Kunstkritik erschließen?

Das ist keine Motivation, aber ein Effekt, der entsteht. Ich wollte Blogs nicht groß machen, es war eher die Gelegenheit, ein Blog zu machen und dann zu schauen, was passiert. Ich hätte mir nie geträumt, dass es in diese Richtung gehen würde. Ich habe allerdings am Anfang beobachtet, dass die meisten Webseiten, die sich mit Kunst beschäftigen, fast nur Bilder posten, und man nur wenig über die Werke erfährt. Es war nie geplant, in die Richtung von monopol oder art zu gehen, aber wenn das Blog sich eines Tages als ebenbürtiges Medium herausstellen sollte, wäre ich sehr froh.

Du umschreibst Dein Blog als „One-Man-Show“. In Deinen Texten trittst Du als Autor aber eher hinter den Analysen zurück. Wie lassen sich diese Haltungen vereinbaren?

Es kommt darauf an, wie man das Blog auffasst. Man kann es als persönliches Medium wahrnehmen, für mich ist es eher eine Darstellungsform von Inhalten, die chronologisch geordnet eine barrierefreie Interaktion mit dem Leser ermöglicht. Natürlich werden viele Blogs eher persönlich geführt, zum Beispiel artfridge, was wunderbar zu lesen ist. Für mich stand aber nie im Vordergrund, zu dokumentieren, was ich persönlich in Ausstellungen erlebe, oder was ich als schlecht oder als gut empfinde, sondern etwas aus den Ausstellungen zu ziehen und natürlich die Kunst näher kennenzulernen.

Es geht Dir einerseits um Analyse und reflektierte Auseinandersetzung, andererseits um eine Einebnung der Hierarchie des Kunstdiskurses?

Auch das ist eigentlich keine Absicht, aber es kommt mir zunutze, dass die Technologie das ermöglicht. Ich glaube aber nicht, dass ich diese Demokratisierung fördere. Dagegen spricht ja eigentlich, dass es auf meiner Seite schon lange keine Kommentarfunktion mehr gibt. Trotzdem ermuntere ich jeden, selbst zu schreiben, in welchem Medium auch immer.

Wer ist Dein Zielpublikum?

Der kunstinteressierte, kontemplative Leser, der selbst auch aus dem Kunstumfeld kommt, sei es als Künstler, Kurator, vielleicht auch als Kritiker oder Galerist. „Castor & Pollux“ hat viel mehr mit Kontemplation zu tun, zu der jeder eingeladen ist, als mit Zerstreuung.

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  1. Pingback: artefakt – Zeitschrift für junge Kunstgeschichte und Kunst « FSR Kunstgeschichte

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