allerArt, Kritik
Kommentare 1

Einige Gedanken zum Tagungstourismus

Und dann ist man mal wieder irgendwohin gefahren, im Zweifelsfall in eine Provinz, früh aufgestanden, früher als sonst, im Morgengrauen zum Zug geeilt, um zur Mittagszeit am Tagungsort anzukommen und dort ein druckfrisches Tagungsprogramm überreicht zu bekommen. Eigentlich braucht man sich bei Ankunft gar nicht erst im Raum umzusehen, die erhofften Gesichter sind noch nicht da und werden es auch später nicht sein. Man hört sich selbst sagen: „Ja, wo ist er denn? Kommt er etwa nicht?“ Das befragte Gegenüber schüttelt den Kopf, weiß nicht so recht, wie dreinschauen und antwortet: „Er ist mal wieder nicht da.“ Warum, das weiß man nicht, die Teilnahme wurde am Abend zuvor abgesagt. Betretenes Schweigen auf beiden Seiten. Irgendwie kriegt man die Kurve zum nächsten, weniger unangenehmen Thema.

So unangenehm eine kurzfristige Absage an einer Tagung in deren Verlauf für beide Seiten auch sein mag, der Referent wird gerne wieder eingeladen. Und, man ahnt es schon bei der Planung, es wird (wieder) abgesagt werden. Das macht aber alles nichts. Denn es handelt sich um einen großen Namen. Die angenehmen Begleiterscheinungen überwiegen, wenn man große Namen im Programm führen kann: bei Stiftungen, bei weiteren potentiellen Tagungsteilnehmern und -besuchern und bei Verlagen, wenn es um den obligatorischen Tagungsband geht. Und ist die Tagung erst einmal finanziert, das Programm gedruckt und über alle Mailinglisten – mit 20 anderen Programmen auf jedem Kanal – versendet, ist es auch egal, ob die großen Namen absagen. Es ist ja alles in trockenen Tüchern. Um den Tagungsband muss man sich keine Sorgen machen, die großen Namen reichen ihren Text selbstverständlich zur Publikation ein, irgendwann.

Das Lied ist gut bekannt, wir können es alle singen, in den Chor stimmt allerdings nur selten jemand ein. Hubertus Kohle hat das Lied schon einmal angestimmt. „Es ist die Pest mit diesen ganzen Vortragseinladungen!“, sagt er und fragt sich, wo das mit diesen ganzen Tagungen noch alles hinführen soll. Es werden zu viele Tagungen veranstaltet, Neues bleibt selten zu sagen und das wenige Neue erscheint in verschiedenen Versionen am Ende in diversen Tagungsbänden. Darunter leidet die Qualität der Publikationsliste; das macht aber auch alles nichts. Einen zweiten Blick auf die Publikationsliste und in die Publikationen wagen meist nur Kommissionsmitglieder, wenn es um Berufungen geht. Auf den ersten Blick macht eine lange Publikationsliste (im Netz) was her. Unter dem wenigen Neuen leidet aber auch das Publikum bei Tagungen, das die Inhalte der großen Namen oft schon kennt. Denn es gibt sie ja durchaus, die Variante, dass der große Name anreist und den Vortrag hält. Das macht aber eigentlich auch alles nichts. Man hat den großen Namen nun gehört und erlebt, ihm vielleicht seine Aufwartung gemacht, vom eigenen Projekt erzählt usw.

Was aber etwas ausmacht: die Zweiklassengesellschaft. Man spricht gerne von Tagungstourismus, leicht genervt, wenn es um den aktuellen Tagungsbetrieb in den Geisteswissenschaften geht. Tourist im eigentlichen Sinne ist der wissenschaftliche Nachwuchs, die Doktoranden, gelegentlich auch noch Post-Docs, die in den seltensten Fällen als Redner geladen sind. Doktoranden reisen zu Tagungen und beobachten das Geschehen am Runden oder eckigen Tisch in der Mitte des Raumes. Die Sehenswürdigkeit ist, wenn man so will, der große Name, der mal hier und dort sitzt oder eben nicht. Es kommt nicht selten vor, dass es zu einer Tagung keinen CfP gibt. Als Doktorand reist man natürlich brav zur Tagung, die oft thematisch wie die Faust aufs Auge zur eigenen wissenschaftlichen Qualifikationsschrift passt, man könnte ja etwas verpassen, inhaltlich oder kontakttechnisch. Als Redner geladen sind die anderen, die großen Namen.

1 Kommentare

  1. Hubertus Kohle sagt

    Die großen Namen verführen immer wieder. Und immer wieder macht man die Erfahrung, dass auch sie nicht alle drei Wochen eine tolle Neuigkeit zu verkünden haben und sich wiederholen. Was man sich aber merken sollte: Bei einer gut (und von großen Namen) besuchten Tagung aktiv mitzumachen, also ab und zu auch mal einen Diskussionsbeitrag zu liefern, ist Gold wert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *