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Ein Missverständnis sagt mehr als tausend Worte

Von der Robert-Bosch Stiftung wurden die Kuratorinnen und Stipendiatinnen des Kulurmanager-Netzwerks Kathrin Hartmann, Jessica Laignel und Susanne Weiß, die Direktorin des Heidelberger Kunstvereins, nach Marokko, in die Ukraine und in die Vereinigten Arabischen Emirate entsandt. Die Reise bildet den Ausgangspunkt der Ausstellung „Das Gespräch vor dem Gespräch“, die sich mit den Schwierigkeiten und Möglichkeiten interkultureller Kommunikation befasst. In der Schau tragen die Kuratorinnen Videoarbeiten und eine Fotografie mit Bezug zu diesen drei Ländern zusammen. So verschieden die nationalen Bezüge der Arbeiten auch sind, ihnen allen ist gemein, dass sie eine Kommunikationssituation oder die Übersetzung einer kulturellen Praktik inszenieren und deren Scheitern implizit oder explizit, reflektiert oder nicht, zum Thema machen.

Betretenes Schweigen, die Unübersetzbarkeit kultureller Praktiken und wieder Schweigen

Vor dem eigentlichen Ausstellungsraum sieht sich der Besucher der Fotografie „Mr. Toolpusher und Manager Ahmed“ von Roland Fürst aus dem Jahr 1978 gegenüber, die einen Arbeiter auf einer Ölplattform in einem Raum mit dem arabischen Manager derselben zeigt. Der Manager blickt, die Arme verschränkt, zu Boden, der Arbeiter schaut ihn von der Seite an, er scheint eine Antwort auf eine zuvor gestellte Frage zu erwarten. Die Stille, die aus dem Bild spricht, bereitet den Besucher vor auf weitere Leerstellen in der Kommunikation, deren Zeuge wir in der Ausstellung werden.

Das Scheitern der Kommunikation als Möglichkeit: Die Gesprächspause bildet Roland Fürsts Fotografie gleich am Eingang der Ausstellung ab.

Bouchra Ouizguen aus Marokko ist mit einer Videoarbeit vertreten, dem Mitschnitt der Tanzperformance „Madame Plazza“ in Montpellier. Die in Frankreich ausgebildete Choreographin lässt beleibte Frauen die Tänze der Aitas – in Marokko traditionellerweise die Amüsierdamen, zunächst auf Hochzeiten und Festen, unter der französischen Besatzung in den Cabarets – auf einer kargen Bühne, ohne Musik und in ihrer Alltagskleidung tanzen. Indem die traditionelle Aufführung ihrem ursprünglichen Kontext entrissen und auf eine französische Bühne gebracht wird, gewinnt die Performance emanzipatorisches Potenzial. Viel deutlicher tritt aber die Frage nach der Übersetzbarkeit von Kultur, kulturellen Praktiken und, so trostlos es scheinen mag, nach der Allgemeingültigkeit der emanzipatorischen Werte hervor. Mit den besten Intentionen dem Cabaret entnommen, gerät der Tanz zur politischen Stellungnahme, deren Inhalt auf der Theaterbühne in Montpellier unverständlich bleibt. Es soll eine Umdeutung des Tanzes stattfinden, auf der Theaterbühne werden die Tänzerinnen jedoch ihrem Kontext entfremdet zu leeren Chiffren.

„The Nation Builders“ heißt ein Projekt von Hannah Hurtzig, das in der Ausstellung zum Teil gezeigt wird. In zwei Videos ist das Konzept der Ausstellung so deutlich enthalten wie in keinem der anderen Werke, denn hier wird das interkulturelle Missverständnis inszeniert. Wenn die Architektin Anna Klingmann und der Projektmanager Mishaal al Gergawi miteinander über die staatlich geplante Entwicklung der Kulturszene in den Vereinigten Arabischen Emiraten sprechen, und das Gespräch von Pausen unterbrochen ist, steht den Gesprächspartnern die Verlegenheit ins Gesicht geschrieben, denn Klingmann scheint die Idee der staatlich verordneten nationalen kulturellen Identität gar nicht zu behagen.

 

Die Poesie des Missverständnisses

Sehrij Zhadan, der junge Star der ukrainischen Literaturszene, liest in einem Video seinen eigens für die Ausstellung verfassten Essay „Die Schwierigkeiten der Übersetzung“. Zhadan spricht darüber, was Kommunikation in der Ukraine bedeutet, dass ständiges miteinander sprechen im Alltag den Ukrainern unverzichtbar ist, die Kommunikation nach außen aber oft scheitert: „Die ganze bittere Wahrheit dieses Lebens besteht darin, dass uns Ukrainer niemand versteht“, schreibt er. Vordergründig ist das Nicht-Verstanden-Werden der Ukrainer der ukrainischen Sprache geschuldet, die gegenüber dem Russischen kaum verbreitet ist. Aber obwohl Zhadan auf Ukrainisch schreibt, ist in seinem Essay der Wunsch enthalten, verstanden zu werden. Und doch ist er der einzige, der in der Kunst, genauer: in der Literatur einen Ausweg und eine Perspektive zum Dialog sieht. Nicht nur ein Dialog zwischen Autor und Leser, sondern ein Dialog der vielen Stimmen, die Kunst und Literatur ausmachen. Dieses Stimmengewirr ist es, was uns, wenn auch nicht die Wahrheit, so doch ein gewisses Weltwissen erkennen lässt. Denn: „Politiker verdienen an der Lüge, Dichter verdienen überhaupt nichts.“ In den subjektiven Stimmen der Kunst findet Zhadan die von Wahrheits- und Absolutheitsanspruch freie Gelegenheit zur Kommunikation.

Die Ausstellung legt es auf das produktive Missverständnis an und feiert die Leerstelle als Beginn eines noch kommenden Dialogs, des Gesprächs nach dem Gespräch. Nur scheitert in fast allen Arbeiten der Dialog und das Scheitern wird bei Hannah Hurtzig bewusst herausgearbeitet und zum Thema gemacht, während bei Bouchra Ouizguen die Unübersetzbarkeit kultureller Praktiken übergangen wird. Schließlich versöhnt uns Serhij Zhadan mit dem Gedanken der Leerstelle in der Kommunikation und weist auf die poetische Möglichkeit des Nicht-Verstehens hin, denn ein Missverständnis sagt oft mehr als tausend Worte.

Der Heidelberger Kunstverein zeigt die Ausstellung „Das Gespräch vor dem Gespräch“ bis zum 27. Januar 2013. Am 7. und 8. Dezember 2012 findet begleitend zur Ausstellung das Symposium „Die Schönheit des Nichtverstehens. Verstehen, Verständnis und Verständigung im internationalen Kulturaustausch“ im Kunstverein statt.

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