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Kunsthistoriker im Gespräch

Justitia transkulturell

Die Fragen stellten Francesca Kaes und Anika Meier.

Mit ihrem goldenen Lasso, Diadem und Unterarmreifen ist die seit den 1940er-Jahren für Gerechtigkeit kämpfende Wonder Woman weltweit bekannt. Dass Personifikationen bereits in der Frühen Neuzeit als Spiegel von transkulturellem Austausch betrachtet werden können und welche Vorteile eine Forschungsgruppe gegenüber der Einzelpromotion bietet, erklärt Cornelia Logemann, Leiterin der Heidelberger Nachwuchsgruppe „Prinzip Personifikation“, im Gespräch mit artefakt.


Der Bogen der Nachwuchsgruppe „Prinzip Personifikation“ spannt sich von Justitia zu Wonder Women und vom Mohrenpagen zum Sarotti-Mohr. Können Sie mit wenigen Worten erklären, worum es dabei geht?

Das Phänomen der Personifikation erstreckt sich von der Antike bis zur Gegenwart und von Europa bis Südamerika. Allerdings liegt der Fokus unseres Projekts im Europa der Frühen Neuzeit, wo mit der Technik der Personifikation Neues geschieht: Antike Mythologien werden mit zeitgenössischen Elementen des Christentums vermischt, so dass eine neue Bildsprache entsteht. Die angegliederten Dissertationsprojekte werfen einen Blick in die Gegenwart oder auf andere Kontinente. Das methodische Gerüst unseres Projekts entwickeln wir am Kernbereich der Frühen Neuzeit. Und die Fragen, die sich daraus entwickeln, stellen wir dann an andere Gegenstandsbereiche.

Innerhalb des Projekts verbinden Sie überdies verschiedene Disziplinen wie Geschichte, Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft miteinander. Wie dürfen wir uns das methodische Gerüst vorstellen, von dem Sie gesprochen haben?

Das Problem bei Personifikationen ist, dass es Gebilde sind, die aus Texten entstanden sind und als wesentliches Element in der Literatur des 14. und 15. Jahrhunderts entdeckt werden können. In der Forschungsgeschichte sieht man, dass die Begriffsinstrumentarien auf die Literaturwissenschaft zugeschnitten sind. Das heißt aber nicht, dass die Fragen, die dort aufgeworfen werden nur für die Literaturwissenschaften nutzbar sind. Vielmehr muss man die Fragen und die Terminologien auch an anderen Gegenständen etwa der Kunstgeschichte oder der Theaterwissenschaft überprüfen.

Präfiguration von Wonder Women?

Genau das ist die Schwierigkeit: Verschiedene Disziplinen zusammenzubringen und Frageblöcke zu entwickeln, zum Beispiel Text-Bild Relationen – entstehen Personifikationen aus Texten und werden zu Bildern oder sind es Bilder, die in Texte umgewandelt werden? Eine wesentliche Frage, die in den gemeinsamen Diskussionen immer wieder aufkam, ist die Frage nach den Geschlechtszuweisungen der Personifikationen. Warum sind so viele dieser Gestalten weibliche Figuren? Diese und andere Fragen werden in den Dissertationen an verschiedensten Gegenstandsbereichen abgearbeitet.

Gibt es über die Dissertationsprojekte hinaus ein gemeinsames Ziel?

In erster Linie sind das Ziel natürlich die vier Dissertationen und eine Habilitation, die gerade entstehen. Daneben gibt es Aktivitäten wie Workshops. Für das nächste Jahr sind zwei Workshops geplant, in denen es um Körper, Geschlecht und Ästhetik am Beispiel der Personifikation sowie um Mythologie und Personifikation geht. Am Ende des Projekts wird es eine große Tagung geben, bei der wir versuchen werden, die Ergebnisse unserer Projektarbeit zusammenzufassen.

Wie arbeiten Sie bis dahin in der Gruppe miteinander?

Für meine Doktoranden biete ich ein Kolloquium an. Wir sehen uns zwischen den Kolloquiumsterminen häufig, so dass immer ein Austausch stattfindet. In den ersten zwei Jahren haben wir gemeinsam übergreifende theoretische Literatur gelesen, viele Klassiker wollten gewälzt werden. In den Sitzungen gibt es manchmal ganz erstaunliche Momente. Ich erinnere mich an eine sehr erhellende Sitzung, in der wir gemeinsam über Hans Blumenbergs „Arbeit am Mythos“ gesprochen haben und Gemeinsamkeiten in den einzelnen Projekten herausarbeiten konnten.

Das ist kein Vergleich zur Einzelpromotion am heimischen Schreibtisch.

Allein im Studierzimmer kann man schon mal von Melancholie befallen werden.

Da einige Leute parallel an einem ähnlichen Thema arbeiten, entsteht ein gewisser Druck – ein produktiver Wettbewerb. Man bekommt in diesem Verbund etwa im Falle einer Schreibblockade aber auch leichter Hilfe. Da man gezwungen ist, Ergebnisse abzuliefern, kommt man schneller voran. Und die Flucht in Nebensächlichkeiten gelingt nicht so leicht, da man durch die Kollegen immer wieder auf sein Dissertationsthema zurückgeworfen wird.

Von der Praxis noch einmal zurück zur Theorie. Für unsere Generation, die mit dem Internet aufgewachsen und daher ständig global vernetzt ist, erscheint es selbstverständlich, dass kulturelle Entwicklung nur durch den Austausch von Ideen entstehen kann. Weshalb wird seit einiger Zeit in der Wissenschaft, wenn man auch an die ‚Global Art History‘ denkt, der Aspekt des Transkulturellen so stark betont?

Gerade die Kunstgeschichte war lange Zeit sehr auf die europäische oder auch speziell italienische Kunst fokussiert, was dem Fach nicht unbedingt gut getan hat. Durch den Vergleich mit anderen Bereichen können Fragestellungen entwickelt werden, die einen neuen Blick auf die Objekte eröffnen. Ganz so neu ist dies jedoch nicht, denkt man etwa an Warburg und Zeitgenossen, die Ähnliches schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts versucht haben. Heute verfügen wir jedoch über ganz andere Recherchemöglichkeiten und einen viel besseren Zugang zu den Quellen, um einen transkulturellen Ansatz zu verfolgen. Und gerade das Prinzip Personifikation stellt uns vor Fragen, die man nur mit einer transkulturellen Perspektive lösen kann. Bei der Ausgestaltung von Personifikationen spielen nicht nur nationale, sondern kulturelle und religiöse Identitäten eine Rolle. Das gesamte europäische Gebiet, mit dem wir uns beschäftigen, ist zutiefst transkulturell geprägt. Es gibt Einflüsse aus der Antike, aus anderen Kulturkreisen oder auch die Konfrontation verschiedener nationaler Identitäten und das alles auf sehr engem Raum – eigentlich das perfekte Forschungsfeld für transkulturelle Studien.

Würde die Frau mit der Augenbinde auch in nicht-westlich geprägten Kulturen als Justitia erkannt werden?

Ich denke, ja. Durch unser globalisiertes Bildverständnis sind bestimmte Chiffren mittlerweile derart verbreitet, dass sie auch in anderen kulturellen Kontexten wirken können. Auch wir finden in unserem Alltag Bildelemente, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen, die wir aber dennoch verstehen können. Besonders durch das Internet sind die Bildformeln, die wir kennen, schon transkulturell angelegt, so dass eine Beschränkung auf enge geografische Regionen gar nicht mehr möglich ist.

Gilt dies auch für die Zeit vom 14. bis 17. Jahrhundert?

Diese Frage stellen wir uns auch. Wie kommen Symbole von einem in einen anderen Kontext und was geschieht dort mit ihnen? Wie wirken sie dort – sind sie dekontextualisiert und bekommen eine eigene Bedeutung oder wird diese mit übertragen?

Kooperiert die Nachwuchsgruppe mit anderen Projekten?

Cesare Ripa beschreibt in seiner "Iconologia" über 1.000 Personifikationen abstrakter Begriffe - das Geschlecht bestimmt das Genus des italienischen Begriffs.

Wir kooperieren mit einigen anderen Projekten und Institutionen. Gemeinsam mit der Nachwuchsgruppe „Das wissende Bild“ vom Kunsthistorischen Institut in Florenz haben wir beispielsweise eine Tagung zu Cesare Ripa veranstaltet, Planung ist ein gemeinsames Ausstellungsprojekt mit der UB Heidelberg. Die Doktoranden pflegen zudem ihre eigenen Netzwerke. Natürlich gibt es noch viel mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit, allein es fehlt die Zeit, alle Ideen bis zum Ablauf des Projekts zu verwirklichen.

Wie hat sich die Gruppe formiert?

Auf die Ausschreibung gab es sehr viele, auch internationale Bewerbungen. Es war erstaunlich, wie viele Anknüpfungspunkte es zu anderen Fächern neben der Kunstgeschichte gab. Ich habe daher versucht eine thematisch sehr facettenreiche Gruppe zusammenzustellen.

Wie setzen Sie den transkulturellen Ansatz in Ihren Lehrveranstaltungen um?

In meinen Seminaren versuche ich die Fragen des Projekts mit den Studierenden zu besprechen. Das Prinzip Personifikation ist derart verbreitet in den Künsten und bietet daher zahlreiches Material für Fallstudien, perfekt für Referate. Dieses Semester versuche ich die Überlagerung von antiker Mythologie und Personifikationen der Frühen Neuzeit mit den Studierenden zu diskutieren. Jedoch sind diese teils sehr komplexen Fragestellungen manchmal schwer zu vermitteln, da zunächst Arbeitstechniken erlernt werden müssen. Andererseits denke ich, dass man über Fragen aus der Forschung auch schon in den ersten Semestern nachdenken kann – je früher man lernt, methodisch präzise vorzugehen und mit konkreten Fragen an die Objekte heranzutreten, desto einfacher wird es und desto interessanter werden die Seminare.

Mehr Informationen zur Heidelberger Nachwuchsgruppe „Prinzip Personifikation“ und den angegliederten Dissertationsprojekten findet Ihr hier.


URL: http://www.artefakt-sz.net/kunsthistoriker-im-gespraech/justitia-transkulturell

Ausgedruckt am 24.11.2010