Kritik
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Zurück in die Ferien. 5 Buchtipps für nach dem Urlaub

Listen bestimmen die Welt des Lesens. Kürzlich ist bekannt gegeben worden, wer es mit einem Titel auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, der während der Frankfurter Buchmesse am 12. Oktober vergeben wird. Das Satiremagazin Titanic konnte daraufhin freudig verkünden, wer es nicht auf die Longlist geschafft hat. Nämlich unter anderem Sibylle Berg mit ihrem Titel Ich bin sehr sehr dünn, erschienen im Hauch von Nichts Verlag, oder Til Schweiger mit seinem literarischen Ausbruch Warum nimmt niemand dieses Buch ernst, obwohl es ein Bestseller ist????!!!! Pisser!!!!11″ aus dem Kein Eselsohr Verlag.

Kurz bevor es in die Ferien ging, hatte jeder ein paar Leseempfehlungen parat: Jeff Koons wusste, was diesen Sommer zu lesen war und was man unbedingt gesehen und gegessen haben muss. Das Weiße Haus hat Obamas Urlaubslektüre öffentlich gemacht; sechs Bücher hat er mitgenommen, aber vielleicht war es ja auch nur ein iPad oder ein eBook-Reader. Das Schirn Magazin wusste, welche Bücher sich zum Thema Kunst gut am Strand eignen. Buchtipps für die Lektüre im Liegen hatte DIE ZEIT. Autoren der Süddeutschen Zeitung haben 24 Lieblingsbücher empfohlen. Und Ronja von Rönne hat zwar keine Lektüretipps, dafür weiß sie, warum Urlaub unglücklich macht. Alles was wir wissen ist: Die Rückkehr aus dem Urlaub macht mindestens genauso unglücklich, deshalb hier von uns ein paar Leseempfehlungen, die Euch mit auf eine Reise nehmen. (am)

Wo es sich am besten liest: Liegend am Strand. Das Symbolbild zeigt den Strand von Travemünde.

Zu spät gekommene Abenteuerer. „Ferien für immer“ von Christian Kracht und Eckhart Nickel

Christian Kracht hat mit dem  Heidelberger Dandy Eckhart Nickel einen Reiseführer geschrieben: „Ferien für immer.“ Man kann in diesem Feuerwerk des dégoût raten, welche Passagen von Kracht stammen und welche von Nickel, denn die Autorennamen der kurzen Abschnitte werden nicht preisgegeben.

Man hört das Echo von Joseph Conrad oder von Tim und Struppi, wenn die beiden Autoren vom besten Bloody Mary in Sri Lanka erzählen. Weil aber alle Abenteuer schon erlebt und aufgeschrieben sind, geht es hier um die angenehmsten Orte der Welt. Das Unbekannte finden die beiden Erzähler da auch nicht mehr, vor allem nicht, wenn die Leute, die sie so treffen, die gleichen Burlington-Socken und Fiorucci-Jeans wie sie selbst tragen: “…und wir blickten in ein Zerrbild unserer eigenen Popperjugend.” (ph)

Nach uns die Sintflut. „Der gelbe Bleistift“ von Christian Kracht

Noch besser ist eigentlich nur die Sammlung von Christian Krachts Asienreportagen „Der Gelbe Bleistift.“ Die Texte sind in den 1990ern in der Welt am Sonntag erschienen. Von Peshawar bis Tokyo beschreibt Kracht mit distanzierter Pose Hotelbars und kommt dabei nicht über die eigenen Befindlichkeiten hinaus. Fanden damals zumindest die meisten Rezensenten.

Dabei ist Kracht ein Meister der Auslassungen und Anspielungen. Anstatt eine klischeehafte Reportage über eine Waffenfabrik der Taliban schreibt er über Ibrahim Khan, der ihn dorthin führt. Eine Granate für acht Dollar kaufen, schwere Feuerwaffen im Gebirge ausprobieren: „…ich merkte, daß schießen wie Kartoffelchips essen ist, weil man davon erst genug kriegen kann, wenn einem schlecht ist.“ Solche Passagen haben Kracht den Ruf des zynischen Dandy eingebracht, der sich vor allem dafür interessiert, welche Songs von Modern Talking in welcher Bar in Südostasien laufen. Dabei übersieht man leicht die Menschlichkeit, die in den Texten steckt. Oder zumindest lässt Kracht die Leser glauben, dass die eigentlichen Zyniker die Lonely Planet-Backpacker und die Hippies vom Strand in Goa sind, deren Motto lautet: Après nous le déluge. (ph)

“Die schöne Aktion sozialer Systeme.” „Rave“ von Rainald Goetz

Während Kracht und Nickel in den Tropen unterwegs sind, erkundet der immer nervöse Rainald Goetz andere Räume: Clubs und Parks, München und Ibiza. Der Autor von Irre und Krieg geht mit Westbam auf Tour, treibt sich herum, schreibt darüber und verabschiedet das kritische Potenzial, das Pop in den frühen Spex-Tagen mal hatte. Stattdessen Affirmation: “geil geil geil”, schreibt Goetz und: “Aber wir sind ja nicht zum Vergnügen da, sondern zum Feiern.”

Außerdem staunt der Erzähler darüber, dass der Club als soziales System funktioniert. Also mit Luhmann und Westbam in den Club. Das ist irgendwann in den Neunzigern. Wenn man das heute liest, ist das ein bisschen wie eine Zeitkapsel. Mercedes Bunz war bei der De:Bug, Frankfurt war Technohauptstadt und Sven Väth war musikalisch relevant. Aber Goetz betreibt hier nicht nur Pop-Archivismus, sondern Arbeit an der Sprache: “Es gab einmal eine Zeit, wo es noch keine Worte gab für das alles hier.” (ph)

Cruisen. „Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich“ von David Foster Wallace

Der Titel sagt eigentlich schon, was man wissen muss. Eine Kreuzfahrt, die ist lustig, aber man möchte sie kein zweites Mal machen. Vielleicht möchte man auch überhaupt keine Kreuzfahrt machen und das nicht einmal nur aus mangelnden finanziellen Ressourcen. David Foster Wallace jedenfalls musste oder vielmehr: Er wollte eine Kreuzfahrt machen. Immerhin hatte er triftige Gründe dafür. Gleich zu Beginn schreibt er zu den Hintergründen seiner Reise: „Vom 11. bis 18. März 1995 unternahm ich freiwillig und gegen Bezahlung eine siebentägige Karibik-Kreuzfahrt (der Katalog spricht hier von einer 7-Night Caribbean oder „7 NC“ Cruise) an Bord der Zenith, einem 47.255 Tonnen-Schiff der Celebrity Cruises Inc., einer von den über zwanzig Kreuzfahrtlinien, die von Südflorida aus operieren.“ Und wie immer hat er auch eine Menge Fußnoten samt weiteren Informationen zu fast allem parat.

Wie es sich am bequemsten liest: Auf dem Bauch liegend. Symbolbild: Dieser Beitrag wurde nicht von Neubauer Reisen gesponsert.

Auf dieser Kreuzfahrt blüht sein lange erfolgreich unterdrückter „Hai-Horror-Tick“ wieder auf, er findet heraus, dass Kreuzfahrten etwas „unerträglich Trauriges“ umgibt, das Todessehnsucht weckt, beim Gang an Bord fühlt er sich an die Verladeszene aus Schindlers Liste erinnert und er muss feststellen, dass er der einzige erwachsene Passagier ohne Fotoausrüstung an Bord ist. Die literarische Reportage über eine Kreuzfahrt mit David Foster Wallace ist tatsächlich ein unendlicher Spaß, der in Zukunft leider ohne ihn stattfinden muss. (am)

Lola rennt nicht. „Winternähe“ von Mirna Funk

Sie erträgt den Antisemitismus in diesem Land nicht mehr, den Antisemitismus, der in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, mit dem sie Arbeitskollegen, Bekannte, abgewiesene Liebhaber und sogar Freunde konfrontieren. Sie verlässt deshalb Berlin und reist nach Tel Aviv. Und wegen eines Mannes.

Das ist die Geschichte der jungen Berliner Autorin Mirna Funk, die gerade für ihr Romandebüt „Winternähe“ mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet worden ist. Es ist aber auch die Geschichte der Protagonistin Lola, die - so kann man nur vermuten - auf den 340 Seiten in etwa durchmachen muss, was die Autorin selbst in Berlin und in Tel Aviv erlebt hat. Aus Tel Aviv schreibt Lola ihrem Vater Simon, zu dem sie seit ihrer Kindheit wegen dessen Flucht nach Westberlin ein schwieriges Verhältnis hat, einen Brief. Diesen Brief aber wird sie niemals abschicken, „weil Emotionen halt total peinlich sind in unserer Zeit. In den Rezensionen zu Büchern steht immer: frei von Pathos, lakonischer Schreibstil. Das mögen sie.“  Die Autorin liegt falsch. Das Buch wird gemocht. Denn Lola rennt nicht. Lola ist wütend, Lola ist emphatisch, Lola macht ihrem Ärger Luft, ob es ihrem Gegenüber nun passt oder nicht. Lola schweigt nicht. Lola malt sich ein Hitlerbärtchen ins Gesicht. Und Lola liebt Schlomo. Auf der Suche nach ihrer Identität in Tel Aviv erfährt sie, dass Schlomo nicht schon immer ein Pazifist ist, der nur leidenschaftlich über Probleme diskutiert. Mirna Funkt hat ein Buch geschrieben, das gerade wegen seiner Emotionen so ganz und gar nicht peinlich und diesen Sommer aktueller denn je ist. (am)

Text: Philipp Hindahl (ph) & Anika Meier (am)
Fotos: Anika Meier

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