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Nackt geboren. „Homosexualität_en“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin

Heather Cassils
Advertisement: Homage to Benglis , 2011
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40 x 30 inches
edition of 3
photo: Heather Cassils with Robin Black
Courtesy Ronald Feldman Fine Arts, New York

“Homosexualität wird museumsreif”, meldet die dpa. Freilich gibt es das Schwule Museum in Berlin schon lange, nämlich seit den Achtzigern. Aber das scheint eher eine Randerscheinung zu sein, könnte man meinen. Also weit weg von der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Wo genau das ist, weiß eh keiner so genau, aber man kann schon gefahrlos behaupten, dass das Deutsche Historische Museum in Berlin der Mitte ziemlich nahe kommt. Von Jens Bisky in der Süddeutschen als verlässlich langweilig bezeichnet, zeigt das DHM gerne Ausstellungen, die einem Bildungsauftrag nachkommen.

Zum Glück ist die Ausstellung “Homosexualität_en,” eine Kollaboration vom Historischen Museum und dem Schwulen Museum, nicht allzu didaktisch ausgefallen. Ohne einen kleinen Skandal geht es auch nicht: Schon vor der Ausstellung gab es Ärger um das Ausstellungsplakat. Das Plakat zeigt ein Foto von der Performancekünstlerin Heather Cassils, nachdem sie sechs Monate lang Gewichte gestemmt hat. Ob man nicht einfach ganz normale Schwule zeigen könne, hieß es. Gerade das will der Plural im Titel der Schau aber sagen: Es gibt eben nicht die eine, ganz normale Homosexualität, sondern viele verschiedene.

Es gibt eine Menge Material zu sehen: aus der Sammlung des Schwulen Museums und von anderswo. Zum Beispiel Andy Warhols Film “Blow Job,” oder Elmgreen und Dragsets “Top and Bottom.” Aber eben auch Zeugnisse der Unterdrückung von Homosexuellen und Transgender-Menschen. Man hätte leicht eine Geschichte von Emanzipation erzählen können, an deren Ende Conchita Wurst ein Popstar ist und die meisten Bundesbürger gleichgeschlechtliche Ehen prinzipiell und politisch korrekt ganz in Ordnung finden.

“Wir sind Punks, wir sind schwul, wir gehen keiner geregelten Arbeit nach,” wird Sven Marquardt, heute Chef-Türsteher im Berghain, zitiert. Das gibt es auch, das nicht-Normalsein-wollen. Die Verweigerung ist ganz entscheidend für Pop, denn die Innovation kommt meistens von den Rändern.

Queerness gibt es schon länger als Pop. Am Ende des muffigen deutschen Kaiserreichs, 1918, malte sich Ottilie Roederstein selbst in Uniformjacke, mit strenger Frisur und strengem Blick, also beinahe in drag. Wer sich verkleidet und die Künstlichkeit feiert, hat schon verstanden, wie Pop funktioniert. “You were born naked and everything else is drag”, hat der amerikanische Sänger, Schauspieler und Fernsehmoderator RuPaul einmal gesagt. Wahrscheinlich hat Sylvester James nie etwas von Ottilie Roederstein gehört, als er 1978 seinen Song “You make me feel mighty real” aufnahm. “Mighty real” ist natürlich ein Witz: In den späten 1970ern ist die Disco der Ort, an dem drag erlaubt und erwünscht ist.

Zur gleichen Zeit geht Pop aus der Disco auf die Straße. Disco und Rap sind zumindest verschwägert, aber kaum ein Genre ist so authentizitätsversessen wie Hip Hop. Michael David Quattlebaum Jr., ein junger Ausreißer aus Kalifornien, der sich ab 2012 in New York als Performancekünstler und Rapper Mykki Blanco versucht, macht sich seine eigene Nische. Sein Musikvideo zum Song “Wavvy” beginnt an dem Ort, an dem viele Rapnarrative beginnen: beim ganz authentischen Drogeneinkauf an der Straßenecke. Der Clip endet in einer barocken Orgie mit Perücken und Fummel. Rap ist davon wahrscheinlich nicht schwul geworden, aber vielleicht doch ein bisschen.

Homosexualität ist natürlich schon längst im Museum angekommen. Nämlich als einer der großen Innovationsmotoren in bildender Kunst und Pop: dort, wo die Neuerungen von den Rändern und nicht aus der Mitte kommen.

 

Die Ausstellung „Homosexualität_en“ wird von der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder gefördert und ist noch bis zum 1. Dezember im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum in Berlin zu sehen.

Titelbild: Heather Cassils, „Advertisement: Homage to Benglis, part of the larger body of work CUTS: A Traditional Sculpture, 2011. A six month durational performance,“ Image courtesy of Heather Cassils and Ronald Feldman Fine Arts,© Heather Cassils and Robin Black 2011.

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