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Im Quadrat

Bereits zur Eröffnung der Ausstellung im Städel attestierte die FAZ: „Frankfurt ist im Botticelli-Rausch.“ Knapp zwei Monate später ist die aufreizende Venus des florentiner Renaissancemalers weiterhin die Hauptattraktion am Schaumainkai, und auch der kalte Winter kann der Dame ihre Fans nicht abtrünnig machen. Dass die Frankfurter Museumswelt derzeit jedoch auch andere Reize zu bieten hat, scheint in Vergessenheit geraten.

112-mal Ü: Zeitgleich mit Andy Warhol entwickelte Roehr das Prinzip der Serialität.

112-mal „Ü“: Zeitgleich mit Andy Warhol entwickelte Roehr das Prinzip der Serialität.

Seit Ende November zeigt das Museum für Moderne Kunst in Kooperation mit dem Städel Museum Arbeiten des Frankfurter Minimalisten Peter Roehr, dessen monotone Bildmontagen weitaus mehr überraschen als Botticellis idealtypische Frauenkörper.

Von den etwa 600 Arbeiten, die der im Alter von nur 23 Jahren früh verstorbene Roehr hinterließ, werden insgesamt 100 Stück in den Räumen des Städel und des MMK gezeigt. Diese Aufteilung verwundert nicht, besitzen doch beide Häuser mehrere Arbeiten des Künstlers. Wirklich froh kann der Besucher darüber allerdings nicht sein, denn die Stringenz des in sich stark geschlossenen Werkes kann in der Rezeption so leider nicht nachempfunden werden.

Attraktionen im MMK sind die Kurzfilme Roehrs, im Städel die „Schwarzen Tafeln“ von 1966. Beide Gruppen bringen das Prinzip der ständigen Wiederholung und Monotonie, das zentral ist für Roehrs Werk, auf den Punkt. Die zweiundzwanzig aneinandergereihten Filmsequenzen zeigen mal mit, mal ohne Ton Szenen aus amerikanischen Werbefilmen und andere Samples mit Alltagsmotiven. Dreizehnmal sieht man eine Frau ihre nassen Haare trocknen, dazu die Stimme einer Shampoo-Werbung, zwölfmal folgt der Betrachter der Fahrt durch einen Tunnel, sechsmal sieht er ein Auto, das einen Berg hinabfällt, explodieren. Besonders in Szenen mit Gewalt wird dem Zuschauer ob der Zerstörung, die von der ständigen Repetition ausgeht, mulmig. Das Gefühl der Befremdung kann sich dennoch nicht einstellen – soll es auch gar nicht, denn ebenso wie die Abfolge der Sequenzen sind auch die Motive willkürlich gewählt. Auf die „Explosion“ folgt die harmlose Fahrt über eine Brücke. Das beliebige Arrangement drückt aus, was Roland Barthes 1968 den Tod des Autors nannte: Roehr interpretierte nicht, er wollte hinter seinem Werk zurücktreten, er wählte aus und benannte.

Überhaupt überwiegen im MMK Bilder der Alltagswelt, des Pop, den Andy Warhol zur gleichen Zeit in New York salonfähig machte – ein Vergleich übrigens, den Roehr schon zu Lebzeiten nicht scheute. Die immer quadratischen Bilder sind stets als Aneinanderreihung von Fotografien aus Werbeprospekten konzipiert: mal sieht man blank-polierte Motorhauben oder knallrote Ledersitze der Marke VW, dunkelbraun geröstete Kaffeebohnen oder den perfekten Augenaufschlag aus einer Werbung für Wimperntusche – alles in Roehrscher Repetition natürlich. Im Gegensatz zu den Kurzfilmen fügen sich hier jedoch die einzelnen Bildteile zu einem Bildganzen zusammen, so dass sie als Einheit wahrgenommen werden. Die filmischen Bilder können eine solche Gleichzeitigkeit der Einzelteile nicht generieren und genau darin liegt ihre Stärke, denn das Prinzip der Abfolge und Serialität wird erst durch die Abfolge der bewegten Bilder offensichtlich.

Besonders deutlich wird bei den Fotomontagen hingegen die strenge Einhaltung fester Prinzipien, die Roehr sich bei der Herstellung seiner Arbeiten auferlegte. Im Verlauf der kurzen Schaffensperiode trieb er seine Prinzipientreue auf die Spitze und gelangte zum Kern dessen, was für ihn Kunst bedeutete: Er löste die Narration zugunsten der Form auf.

Die Vervielfachung des Schwarzen Quadrates in der Galerie Adam Seide 1967.

„Die Aussage ist der Gegenstand: Inhalt und Form sind deckungsgleich (identisch).“ (Peter Roehr)

Die vormals aus Zeitschriften gesammelten Motive erzählen stets eine Geschichte und sie zeigen die Subjektivität, die bis dahin Roehrs Werk verhaftet war. Durch die Auswahl eines Bildausschnittes manifestierte sich sein Wille zu einem bestimmten Motiv, das Prinzip der reinen Strukturalität hatte sich noch nicht ganz durchgesetzt. Nicht so in den „Schwarzen Tafeln“ aus der Sammlung des Städel, die zum ersten mal seit Roehrs Tod 1968 gezeigt werden. Es handelt sich um zehn 119 x 119 cm große Bilder aus jeweils 5 x 7 schwarzen Täfelchen, die zum gewohnten quadratischen Bildganzen zusammengefügt wurden. In ihnen werden Inhalt und Form gleichgesetzt: Das schwarze Quadrat, bestehend aus schwarzen Quadraten, verweist lediglich auf sich selbst und bietet nichts außer der eigenen Existenz. Die Bilder nehmen durch ihre Rasterung die Strategie der Wiederholung im Einzelnen (Fotomontage) sowie durch die zehnfache Reihung das Konzept der Abfolge des Ganzen (Filmmontage) auf und kombinieren beides zur absoluten Repetition. Mit diesen Arbeiten gelangte Roehr auf den Höhepunkt seines Schaffens und letztlich zur Umsetzung seiner Idee der stetigen Wiederholung.

Die Tafeln spiegeln jedoch nicht nur Roehrs Willen zur Reduktion wider, sondern liefern vielleicht auch die schlagkräftigste Antwort auf die Frage nach dem Ende der Malerei, wie in dem hervorragenden Katalog zur Ausstellung zu lesen ist: Nicht nur wird jegliche Bildlichkeit negiert, die Tafelbilder werden darüber hinaus nicht mehr, wie noch bei Frank Stella oder Ad Reinhard, gemalt, sondern aus vorgefertigten Flächen montiert.

Der Henningerturm: Zwischen Pop-Art und Konzeptkunst.

Der Henningerturm: Zwischen Pop-Art und Konzeptkunst.

Die Präsentation von Roehrs Kunst ist in beiden Museen sehr gelungen und zeichnet die Entwicklung der verschiedenen Arbeiten hin zu oben genannten Höhepunkten nach. Gezeigt wird ein von Beginn an konzeptuelles Werk, das durch seine Stringenz besticht und aufgrund der stetigen Reduktion ein bemerkenswertes Maß an Klarheit erlangt. Es handelt sich, wie Susanne Gaensheimer und Max Hollein schreiben, um „ein Werk, das den industriellen Materialfundus der Pop Art, die ästhetische Stringenz der Minimal-Bewegung und die gedankliche Radikalität der Konzeptkunst vorwegnimmt.“ Hierin mag sich letztlich auch die Bedeutung Roehrs für die Kunst nach der Moderne begründen, die durch die Ausstellung einmal mehr Aufmerksamkeit findet.

Die Ausstellung „Peter Roehr. Werke aus Frankfurter Sammlungen ist noch bis zum 07. März 2010 im Museum für Moderne Kunst und im Städel Museum in Frankfurt am Main zu sehen. Der gleichnamige Katalog wurde von Susanne Gaensheimer und Max Hollein herausgegeben, ist im Michael Imhof Verlag erschienen und kostet im Museum 24,90 Euro.

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