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5 Gründe für den Besuch der Ausstellung von Wolfgang Tillmans in der Fondation Beyeler

2017 ist das Superkunstjahr. Manchmal kommt einfach alles zusammen: die Venedig Biennale, die Documenta in Kassel und Athen und die Skulptur Projekte Münster. Der Kunstbetrieb-Jetset kann dieses Jahr kaum Verschnaufen. Und es sind Tillmans Festspiele. Das könnte man zumindest meinen. Von Frühjahr bis Herbst 2017 in der Londoner Tate, der Basler Fondation Beyeler und im Hamburger Kunstverein. Manchmal kommt eben auch bei einem einzigen Künstler alles zusammen.

2016 war ein gutes Jahr für Wolfgang Tillmans, 2017 ist auch ein gutes. Eigentlich war er ja nie weg, aber angesichts dieser plötzlichen medialen Präsenz fragt man sich schon: Warum ist dieser Mann immer noch so wichtig für Kunst und Pop — und hat man das nicht alles schonmal gesehen? Tillmans macht es nun weder sich, noch dem dieses Jahr eh schon gebeutelten Kunstbetrieb-Jetset leicht. Kaum Überschneidungen würde es in den Ausstellungen geben, sagte er in Interviews, zu 95% würden sie sich voneinander unterscheiden. Wer also denkt, wunderbar, nehme ich eine Tillmans-Schau mit, der verpasst die anderen zwei Teile der Tillmans-Trilogie. Das funktioniert sicherlich besser, als wenn man sich nur einen Teil der Filmtrilogie „Der Herr der Ringe“ anschaut und meint, man könne mitreden.

Warum also auch noch nach Basel jetten?

1. Es stimmt ja: Die meisten Fotografen aus Tillmans Generation hatten ihre guten Ideen in den 1990ern — und nur damals. Tillmans hat aber nie den Kontakt zur Gegenwart verloren. Er war mit Frank Ocean im Berghain. Frank Ocean sei extra 12 Stunden nach Berlin gefahren, um mit dem Fotografen in den Club zu gehen, so oder so ähnlich geht die Legende. Für Oceans “Endless” durfte Tillmans dann noch zwei Songs beisteuern. Natürlich hat Tillmans Ocean auch fotografiert. Nicht nur als Akt mit grüngefärbtem Haar in der Dusche für das Cover des Albums “Blond”, sondern auch für die Schau in Basel.

2. Nackte oder halbnackte Jungs gehören schon seit den Neunzigern zum Bildpersonal. Einer von ihnen ist Anders. Mittlerweile ist Anders meistens in Sergio Tacchini-Jogginghosen und sportlichen Schuhen zu sehen. Aber man hört, er war der lange Tillmans Muse, und er ist immer noch Teil seiner Entourage. Die Jünglinge sind nicht mehr ganz so jung, aber immer noch dabei: Tillmans Arbeiten sind nicht das Produkt eines einsamen Genies, sondern einer kollektiven Arbeit, und die Fotos sehen aus wie ein verlorenes Arkadien, inklusive verlorener Unschuld.


Wolfgang Tillmans, „Anders (Brighton Arcimboldo)“, 2005
Fondation Beyeler, Riehen/Basel; © Wolfgang Tillmans

3. Die Bilder sehen jetzt auch aus wie eine Zeitkapsel aus der Zeit nach dem bleiernen Jahrzehnt des Post-Punk. Ein wenig, wie eine neue Hippie-Ära, nun aber in Sportklamotten. Und mit Techno. Diesen Neunziger-Optimismus hat wahrscheinlich kaum ein Künstler in die Gegenwart herüberretten können. Aber Wolfgang Tillmans ist es gelungen, ihn zu transformieren. Zumindest behauptet er etwas ähnliches. Denn was damals noch unter dem Banner der Rave Nation stand, soll nun unter der blauen EU-Flagge stehen. Der Weg ist kurz: Das ist die “Idee eines utopischen Zusammenseins (…). Wir sprachen alle eine Sprache und der Maastrichter Vertrag von 1992 wurde mit echter Begeisterung aufgenommen”, sagte Tillmans mal in einem Vortrag.

Wolfgang Tillmans, „Lutz & Alex on Beach“, 1992
Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

4. Im Basler Riehen sind ca. 200 Arbeiten aus den letzten 30 Jahren zu sehen, die den Künstler in seiner Experimentierfreudigkeit mit dem Medium Fotografie zeigen. Während es in der Tate um Tillmans den Publizisten und politischen Aktivisten ging, soll in Basel angstfrei in die Welt und auf die Freiheit der Kunst geblickt werden. Wenn die Bilder von Wolfgang Tillmans gute Bekannte oder Freunde wären, würde man sie in den Arm nehmen, lange gedrückt halten, ihnen vielleicht über Kopf oder Wange streichen, weil man sich so sehr freut, sie wiederzusehen. Man würde zwischen ihnen hin- und herlaufen, mal zum einen, mal zum anderen gehen, wie auf einer Party, bei der zu viele, einfach alle Freunde und gute Bekannte sind und man gar nicht weiß, wen man nun zuerst begrüßen soll.

Und so kann man auch in der Fondation Beyeler sehr lange hin- und hergehen, von Raum zu Raum, von Bild zu Bild, hin und her, sich drei Mal vor den „Ostgut Freischwimmer, Left“ stellen und mit den Augen den Linien folgen, die das Licht auf das Papier gezaubert hat. Dann dreht man sich um und eilt hinüber zum „Blautopf, Baum“, aus dem eines der Motive für die Ausstellungsplakate wurde und erfreut sich an den verschiedenen Grün- und Blautönen und atmet tief ein, als könne man die frische Waldluft auch vor dem Bild im Museum stehend genießen. Während man noch überlegt, wohin jetzt, wandert der Blick an der weißen Wand hinaus vorbei ins Grüne, in die Landschaft bis zu den Bergen, die sich vor der Fondation Beyeler erstreckt. Tillmans versteht es, seine Kunst nicht in der weißen Zelle einzusperren. (Auszug aus der Rezension von Anika Meier „Eine von Dreien. Wolfgang Tillmans in Basel“, die in voller Länge in Photonews 7-8/17 erschienen ist.)

5. Weil man sich einfach mal die Bilder des Musikers Wolfgang Tillmans ansehen möchte.

Die Ausstellung von Wolfgang Tillmans ist noch bis 1. Oktober in der Fondation Beyeler zu sehen. Weitere Infos finden Sie hier.

Beitragsbild: Wolfgang Tillmans, „Greifbar 23“, 2015, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

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