Essay
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Alles auf Anfang. „Geniale Dilletanten“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe

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Wahrscheinlich ist über die Berliner (Post)-Punkszene um 1980 alles gesagt. Oder eben nicht, weil sich keiner so richtig daran erinnern kann. So oder so, die gut geölte Diskursmaschine um die sagenumwobenen frühen 1980er läuft. Die meisten Protagonisten sind freilich längst angekommen, als Künstler, als Musiker oder als Universitätsprofessoren.

Vor ungefähr zehn Jahren gab es ein kleines Revival der wunderbaren Jahre um 1980. Beispielsweise mit Jürgen Teipels Dokumentarroman „Verschwende Deine Jugend“. Oder mit der Film-Anthologie „Alle Macht der Super 8″. Damit sind Musik und Kino abgesteckt, fehlt nur noch die Malerei. Da gab es Albert Oehlen, der Plattencover gemalt hat, beispielsweise für Palais Schaumburg. Oder Martin Kippenberger. Der war Teilhaber an einem Punkclub in Kreuzberg, dem SO36. Dort ist er aber ausgestiegen, als nach einem Konzert der englischen Band Wire die Gäste den Laden zerlegt und die Kasse geklaut haben. Was klingt wie ein einziger Amphetamin- und Bierrausch, ist prägend für die Pop-Intelligentsia.

Zum Beispiel für Diedrich Diederichsen. Denn schon in den frühen 1970ern beginnt für ihn Pop Zwei, der endlich Schluss macht mit langhaarigen Rockern, und stattdessen das Künstliche, Camp und das Uneindeutige feiert. Feindbild: Die Berufsmusiker, die mit Talent und Geheimniskrämerei eine Grenze zum Publikum aufbauen. Die Einführung von Historizität als Waffe, wie es im Diederichsen-Sprech heißt, geht zwar schon vor Punk los, findet aber Ende der 1970er seinen Höhepunkt. Historizität heißt in diesem Fall: Was vorher war, wird für tot erklärt. In der einfachen Dialektik des Pop folgt aber auf die Sinnzerstörung nicht etwa die Leere sondern das Neue. Und alle sagen ja zur modernen Welt.

Bevor es die Band Die Tödliche Doris gibt, gibt arbeiten die Gründungsmitglieder Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen als Sammler. Sie sammeln weggeworfene Automatenfotos vor und hinter Berliner Fotoautomaten. Die Fotos werden gerahmt und abgefilmt. Auf Super 8, versteht sich. Titel: „Materialien für die Nachkriegszeit, 1979 80″. Der Regisseur Jean-Pierre Jeunet kannte den Underground-Film und benutzte ihn als Vorlage für seinen Kitsch-Klassiker „Die fabelhafte Welt der Amélie“.

1981 dreht Die Tödliche Doris, halb Künstlerkollektiv, halb Band, den Film „Energiebeutel und Zeitblase“. Aber: So ganz neu ist das auch nicht, man erkennt die späte Wirkung der Wiener Aktionisten. Zumindest fanden viele Westberliner Punks den Aktionskünstler Punks Günter Brus gut. Der ist 1969 aus Wien in die Mauerstadt geflüchtet, weil er in seinem Heimatland wegen der „Herabwürdigung er österreichischen Staatssymbole“ polizeilich verfolgt wird.

Dann, 1982, erschien im Berliner Merve-Verlag ein knapp 130 Seiten starker Band: „Geniale Dilletanten“. Der Rechtschreibunfall im Titel ist natürlich intendiert. Auch die akademische Kanonisierung folgt sofort, Rainald Goetz schrieb 1984 in der „Spex“:

…voll ekeliger Fall: sagt der sich gegenüber den 70er-Schluff-Professoren durch kurze Haare absetzende, 1983 per Überleitung zumProfessor hochgekrochene Prof. Dr. N. Wave: Ich plane für das folgende Semester ein Oberseminar zum Thema Mode mit dem Titel: Universale Simulation. Mode als Zeichen, Struktur, Strategie; Schein; …Würg, würg, würg.

 

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt die Schau „Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland“ vom 23. Januar bis zum 30. April.

Titelbild: Die Tödliche Doris, „Die Tödliche Doris in Form allegorischer Gestalten auf dem Festival Genialer Dilletanten“, Westberlin, 1981, Foto: H. Blohm, Archiv: Die Tödliche Doris

1 Kommentare

  1. Großartig… Ich finde den Artikel durchaus gelungen. Hier zeigt sich mal wieder, wie unterschiedliche Epochen der Kunst auch heutzutage eine wesentliche Aussagen prägen. Punk als Stilrichtung hat wesentlichen Einfluss in diverse Kunstepochen. „Das Künstliche, Camp und das Uneindeutige feiert“.. Eine Epoche die Geschichte schreibt…

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