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Das (Un-)Glück der Kunst liegt auf dem Rücken der Pferde

Unter den Favoriten der 84. Oscarverleihung, von denen die meisten im auffälligen Retrogeschmack den Zeitraum zwischen 1914 und 1934 thematisieren, fand sich an dritter Stelle mit sechs Nominierungen Steven Spielbergs „War Horse“ (dt. „Gefährten“). Eine eigentlich nicht neue Hommage an die mit romantischem Pathos durchdrungene enge Freundschaft zwischen Mensch und Pferd. Die Handlung entnahm Spielberg dem gleichnamigen Theaterstück des britischen Bestsellers von Michael Morpurgo, der damit in England großen Erfolg verbuchen konnte.

Der Zuschauer wird in die Zeit des Ersten Weltkriegs versetzt. Er erlebt die verwobenen Schicksale eines englischen Bauernjungen aus dem ländlichen Devon und eines vom Vater ersteigerten Pferdes namens „Joey“, ein energisches Halbblut, das nur vom Jungen gezähmt werden konnte - die Szene erinnert unweigerlich an den Mythos der Bändigung des Streitrosses Bukephalos durch den jungen Alexander den Großen. Bei Ausbruch des Krieges wird Joey von der Armee eingezogen und fällt zuerst unter die Obhut eines zuvorkommenden Regimentsoffiziers. Nach dessen Tod irrt das Pferd zwischen den Kriegsfronten von Verdun umher, bis es am Ende zur ergreifenden Wiederbegegnung mit dem englischen Bauernjungen kommt, der selbst in den Krieg gezogen war. Obwohl der Film die szenisch-musikalische Aufmachung eines Spielberg-Meisterwerks nicht vermissen lässt, wird er erdrückt von Rührseligkeit. In den Kinos verbuchte der Film nur in den ersten Wochen einen nennenswerten Erfolg, bei der Oscarverleihung ging er gar leer aus. Das Ergründen dieses mäßigen Erfolgs soll allerdings den Filmkritikern überlassen werden.

Über das Pferd in der Kunst

Hier soll die Frage gestellt werden, wie im Film mit dem künstlerischen Repertoire der Zeit umgegangen wurde? Die viktorianische Szenerie mit ihren lieblich-idyllischen Landschaften und den romantischen Atmosphären erscheint selbst Engländern zu britisch-pastoral und unzeitgemäß. Diese Spielbergianische Perspektive kontrastiert in vielen Hinsichten mit der kathartischen Kriegslust jener Epoche, die am eindrücklichsten von den aufkommenden Avantgardeströmungen proklamiert wurde. Wären nicht gerade Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts, wie Expressionismus und Futurismus, wie geschaffen für eine hollywoodianische Filmdramaturgie?

Zwischen dem wiederholten Aufbäumen und dem panischen Galopp des Pferdes über die Einöde der Schützengräben erscheint im Trailer von „War Horse“ zwei Mal eine Mappe mit Zeichnungen, in der Pferdestudien zu sehen sind, die der englische Offizier des Reiterregiments im Feldlager angefertigt hatte. Dem künstlerisch begabten Offizier im Film kann ein realer Reiteroffizier im deutschen Lager gegenübergestellt werden: Franz Marc. In seinem Oeuvre räumte der Mitbegründer der expressionistischen Zeitschrift „Der Blaue Reiter“, den Pferdedarstellungen eine zentrale Rolle ein, wie u.a. gerade sein „Skizzenbuch aus dem Felde“ beweist, das man nach seinem Tod kurz vor Kriegsende fand. Seine Tierdarstellungen entsprangen dem Wunsch, sich mit der Natur auseinanderzusetzen, um dann zu einem eigenen modernen Stil zu finden (Essay „Über das Tier in der Kunst“). Sicherlich war er ein Sonderling, außer ihm - und für einige Zeit sein Mitstreiter Wassily Kandinsky - begeisterte sich kein Künstler der damaligen Zeit so sehr für Pferdemotive. Einzig die Futuristen, deren Ausstellung in Köln 1913 Marc besichtigte und die ihn wohl maßgeblich beeinflussten, wie z.B. im Bild „Tierschicksale“ (Basel, 1913) und in den Zeichnungen seines Skizzenbuches, teilten sein Interesse für das Pferd – zumindest was die Dynamik und die Kraft des Tieres anbelangt. Künstler wie Umberto Boccioni, der selbst als Kavallerist im Krieg fiel, schöpften aus diesen Eigenschaften Leitlinien für ihre Bewegung.

Eine der nachhaltigsten Auswirkungen des Futurismus findet sich bei dem im Kreis der Futuristen verkehrenden Fliegerass, Graf Francesco Baracca. Dieser wählte als Kennzeichen am Rumpf seines Fliegerschwadron, ein futuristisch anmutendes „cavallino rampante“ (dt. aufbäumendes Pferdchen), das nach dem Krieg vom Rennfahrer Enzo Ferrari als Markenzeichen für seines neues Automobilwerk gewählt - und bis heute Inbegriff unbändiger Dynamik ist.

Kriegs- und Reitpferde waren besonders bis zum Ersten Weltkrieg eine elitäre Angelegenheit. Darstellungen mit Pferden symbolisieren oft einen Machtanspruch und waren vornehmlich für monumentale Inszenierung von Feldherren bestimmt. Aus der Antike hat sich anhand von Monumenten, wie dem Reiterstandbild des Marc Aurels auf dem Capitol in Rom, ein Darstellungskanon herausgebildet, an dem erst in der zeitgenössischen Kunst gerüttelt wurde. Pferdezeichnungen, wie die aus dem Film „War Horse“, erinnern v.a. an die berühmteren Vorbilder der Renaissance,  wie denjenigen von Pisanello und Leonardo. Endziel dieser Zeichnungen bzw. Studien (Disegni) war u.a. der ideale Entwurf für die Realisierung eines Kunstwerks, meist einer großen Bronzeplastik; denn die größte technische Herausforderung eines Künstlers war die Herstellung einer Reiterstatue. Dabei steigert sich der Grad der Schwierigkeit je freier und stützenloser das Werk stehen konnte (z.B. ob es sich nur mit vier oder nur mit zwei Hufen auf dem Grund stütze).

Diktatorische Machtinszenierung

Als vor wenigen Wochen in Deutschland Spielbergs Film in den Kinos anlief, enthüllte die kommunistische Regierung Nordkoreas in einer großen Feier auf dem Hauptplatz der Hauptstadt Pjöngjang zwei überlebensgroße Reitermonumente aus Bronze, welche die beiden verstorbenen Staatsoberhäupter, Kim Jung Il und Kim Jong Sung verherrlichen. Seit 1948 wird die dortige Bevölkerung mit autoritärer Gewalt nach stalinistischem Muster hinter der Fassade des Kommunismus unterdrückt. Der aktuelle Diktator des Landes, Kim Jong Un, der dritte in der Dynastie, schürt mit diesem Monument den Personenkult seines Vaters und seines Großvaters, die sich – wie er selber – gegenüber der Bevölkerung fürsorglich zeigen.

Das zu Recht umstrittene Doppelmonument spiegelt den eklektischen Geschmack einer anachronistischen Regierung. Bizarr wirken die beiden Reiter mit ihren flatternden Fracks auf den Streitrössern. Während das linke Reitermonument in Paradepose, auf dem der ältere Kim II-sung zu sehen ist, an das Denkmal Marc Aurels oder an den Gattamelata von Donatello erinnert, orientiert sich das aufbäumende Exemplar augenfällig am „Ehernen Reiter“ bzw. der Statue Peter des Großen von Russland in St. Petersburg. Gleiches gilt für den hohen Steinsockel beider Statuen, der wie das russische Vorbild einen unbehauenen Felsvorsprung vortäuscht. Berühmt wurde der riesige Steinmonolith in St. Petersburg aufgrund seines Gewichtes (über 1250t) und der damaligen technischen Transportleistung. Das Nordkoreanische Doppelmonument, das somit westlichen Führerdarstellungen entlehnt ist, sucht in seiner Unangemessenheit seinesgleichen. Wenn solch monumentale Reiterstandbilder heutzutage überhaupt noch errichtet werden, dann grundsätzlich für historische Persönlichkeiten, wie das wohl kaum zu vollendende Steinmonument für den Indianerhäuptling Crazy Horse in South Dakota oder das Mausoleum Dschingis Khan in der Mongolei. Bei Letzterem ist zumindest die Beziehung zwischen Reiter und Ross historisch belegt und von Bedeutung, beide waren Anführer nomadischer Steppenvölker.

„Hoppe hoppe Reiter“

Völlig anders verhält es sich mit der vor wenigen Wochen enthüllten Bronzestatue auf der „Fourth Plinth“ (dt. vierte Plinthe) auf dem Londoner Trafalgar Square. Die vierte Plinthe blieb aufgrund von Uneinigkeiten seit ihrer Errichtung im 19. Jahrhundert leer. Erst Ende des letzten Jahrhunderts entschloss sich die Regierung jährlich einen Preis für zeitgenössische Kunst auszuschreiben – das Werk des Gewinners soll für eine längere Zeit auf der leeren Plinthe ausgestellt werden. Dieses Jahr gewann das dänisch-norwegische Künstlerpaar Michael Elmgreen und Ingar Dragset. Sie schufen, ausgehend von einem ersten Entwurf in ihrem Berliner Atelier, eine Monumentalbronze, die „Powerless Structures, Fig 101“, eine ironische Anspielung auf die sonst so autoritär wirkenden Statuen herrschaftlicher Kommission, die den Platz schmücken. Es zeigt einen auf einem Schaukelpferd sitzenden Jungen, der schwungvoll und kühn sein Spielzeug einhändig reitet. Im weitesten Sinn erinnert das Werk an die antike Statue eines reitenden Knaben, den sog. Jockey vom Kap Artemision (200-140 v.Chr. Athen).

Wird das Schaukelpferd zur neuen Mode? Vor einigen Tagen erschien eine beißende Persiflage auf die amerikanische Cowboyikone vom chinesischen Fotografen Peikwen Cheng, die zu den Schaukelpferd Kunstwerken dazugezählt werden kann.

Das Reitermonument findet noch heute in verschiedenen Medien Verwendung und wird so zu einem Phänomen in der Kunst. Die Bedeutungsebenen reichen von einem spielerisch, ironischem Bruch über eine romantische Adaption des Bukephalos-Mythos hin zu einer autoritären Geste.

 

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