allerArt, Porträt
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2 Künstler, 1 Einwegkamera

Das Foto sieht aus, als wäre es schnell gemacht worden: Ein junger Mann mit geschorenen Haaren steht vor der roten Tür einer S-Bahn. In einer der Scheiben spiegeln sich die hellen Bereiche seines Gesichts im Dreiviertelprofil, durch die Scheibe erkennt man nichts. Mit beiden Händen hält er ein aufgeschlagenes Notizbuch in die Kamera. Der Bildausschnitt ist schief. Das Foto ist offenbar mit Blitz aufgenommen. Auf einem anderen Foto sieht man denselben jungen Mann mit längeren Haaren auf den Rängen eines Kinos. Wieder hält er das Notizbuch hoch. Ein weiteres Foto zeigt ihn vor einer roten Wand, die das Blitzlicht zurückwirft.

 

Ohlert (ohne künstlerisches Stilmittel Hitlergruß) fotografiert von Jonathan Meese.

 

Die Bilder sind Teil der Serie „Photographed by“ des Berliner Fotografen Joseph Wolfgang Ohlert. Er ist 1991 geboren, studiert seit 2012 an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin, war als Assistent am Theater und beim Film tätig und stellte die Serie erstmals 2011 aus. Für die Serie lässt er sich mit einer Einwegkamera von Schauspielern, Künstlern und Freunden ablichten, während er ein Notizbuch mit dem Namen desjenigen in die Kamera hält, der das Foto gemacht hat.

„To live is to be photographed“, schrieb Susan Sontag 2004. Dieses Diktum gilt längst nicht mehr nur für Stars. In der Flut verwackelter, unscharfer, überbelichteter und unterbelichteter Fotos, die schließlich auf tumblr, Instagram oder Facebook landen, ist das Subjekt wie von Spiegeln umgeben, die sein Bild hundertfach zurückwerfen. Die Masse an Bildern ist ihrem Kunstcharakter freilich abträglich und, ohne Benjamins Begriff der Aura bemühen zu müssen, ist der Künstler auf eine Verknappung, mithin auf die Besonderheit seiner Bilder angewiesen. Also musste die Kunstwelt vom Höhenkamm der Postmoderne aus auf die Bilderflut reagieren. Dass bereits vor dem Aufkommen der Handyfotografie Mode- und Kunstfotografen auf affirmative Weise eine Ästhetik benutzten, die sich aus den unteren Schubladen des kulturellen Bildspeichers bedient, ist spätestens seit den 1990ern mit Juergen Teller und Richard Billingham - um nur zwei Beispiele zu nennen, die kaum vergleichbar sind - im Kanon angekommen.

Wenn sich Ohlert also daran anlehnt, indem er sich mit einer Einwegkamera fotografieren lässt und nicht allzuviel Wert auf Beleuchtung legt, mag man das als eine nostalgische Geste interpretieren. Aber der Unterschied liegt auf der Hand: Der junge Fotograf lässt sich fotografieren. Damit gibt der Fotograf die Kontrolle ab, lässt andere für sich inszenieren und räumt damit jeden Geniegedanken aus. „Der Künstler ist tot, es lebe die Kunst“, proklamiert Ohlert auf seiner Website in Anlehnung an Roland Barthes und verkompliziert damit die Beziehung zwischen Fotograf und fotografierter Person. Zwar steht sein Name als Urheber unter den Bildern, in den Bildern hält er jedoch ein Notizbuch in die Kamera, auf dem „photographed by“ und dann der Name desjenigen steht, der auf den Auslöser gedrückt hat. In vielen Fällen ist das auch ein berühmter Name. Diese berühmte Person ist dann doch mit ihrem Autogramm, beispielsweise Jonathan Meese in seiner Grundschülerhandschrift, als Urheber präsent. Und die Unterschrift ist ihrerseits wieder auratisiert. Die Genieästhetik ist passé, aber der Künstler kommt gleich doppelt durch die Hintertür ins Werk, einmal als Dargestellter und einmal als Fotograf, vertreten durch seine Unterschrift. „Der Künstler ist tot“, aber seine Spuren sind noch da, nämlich als eine schnelle Unterschrift mit Filzstift, und als der Porträtierte, der jedoch nicht als Handelnder, sondern als Objekt des Blicks vor der Kamera steht.

Ein Bild von Patti Smith.

Ein Maler fotografiert den Fotografen: Martin Eder.

Fotografiert von oben, typisch Juergen Teller.

Marc Jacobs wird fotografiert, während er Joseph Wolfgang Ohlert fotografiert.

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